“Raubzuege”
by Erich Moechel, Austrian novelist and journalist

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 “Ziemlich konstruierte Geschichte”, Professor Wolf schob die paar Scheine, die noch übrig waren, achtlos in die Hosentasche, “das mit Pigres und der alexandrinischen Wachtel. Weit hergeholt. Aber vielleicht sind deshalb alle darauf hineingefallen. Unsere Freunde aus Buda. Und deren Freunde bei uns.”

 “Und was ist mit diesem Faksimile?”, sagte ich.

 “Haben den ganzen Codex schon in Italien faksimilieren lassen”, Professor Wolf wirkte vollkommen gelöst, “Natürlich nicht über Philnet bekommen. Auf Disk. Mit der Post. Neue Anlage gekauft. Kennen Sie ja. Disk eingelegt und ein bißchen gebastelt. Erst den Pternoglyphos mitsamt dem Vers hinausgeschmissen. Technisch gar kein Problem. Für dieses kratein da einen Ersatz zu finden war schwieriger. Mußte dieselbe Schrift sein. Die lambanein haben alle nicht gepaßt. Waren zu lang. In den Scholien vorn gibts ein paar abgekürzte. Aber die sind rot. Mußten eins umfärben. Auch nicht schwer. Wenn man die richtige Software hat.”

 Die hatte Herma entworfen. Ich hätte nur fragen brauchen. Ich Idiot!

 Dann hatten sie das Blatt, besser gesagt die Datei, von Darmarios über Philnet aus Athen an das Institut abschicken lassen. Es war natürlich auch in Buda angekommen. Denn dort landete alles, was an uns adressiert war. Wie auch wir Budas Korrespondenz überwachten.

 Professor Wolf schlug die letzte Seite auf.

 Über die raste eine Kursive mit riesigen Schnörkseln wie ein Schrift gewordener Tobsuchtsanfall: Ende der Batrachomyomachia des Homer + Dank sei Gott + dieses Buch hat Meletios, Sohn des Neilos geschrieben im Jahre zita psi pi delta.

 Das Jahr 6784 seit Erschaffung der Welt. Ich holte meinen Rechner heraus. “Können Sie sich sparen”, sagte Professor Wolf. "Dieser Codex stammt aus 1275 oder 1276, “war bis jetzt im Besitz der Ambrosiana - Natürlich in Mailand! Kennen Sie vielleicht noch eine andere Ambrosiana ?”

 Und er hielt mir die italienischen Papiere unter die Nase. Es war ein völlig legales Geschäft. Wir stiegen die Treppe hinauf, ans Tageslicht zurück.

 “Und wozu das ganze Theater?”, sagte ich.

 “Theater? Ganz richtig”, Professor Wolf sah auf die Uhr, “zu Ihrer Rolle. Gesehen haben Sie einen vetustus. Nicht datiert. Ungefähr zwölftes Jahrhundert. Pergament. Dazu Scholien von Prodromos. Hat Krumbacher schon zusammengebastelt. Fehlt vielleicht noch ein Exlibris. Fällt Ihnen was ein?”

 “Johannes Tzetzes?”

 “Tzetzes? Gekauft”, sagte Professor Wolf, “Armer Kerl. Hat seine ganze Bibliothek verschleudern müssen”, und er schob den Kodex in einen Plastiksack, als wäre es ein Taschenbuch, “Prima Idee. Fast zu gut. Wir hätten Sie schon früher einspannen wollen. Ging aber nicht. Mußten Sie draußen lassen. Hätte sonst nicht funktioniert.”

 “Was hätte nicht funktioniert?”, sagte ich.

 “Alles”, Professor Wolf schaute schon wieder auf die Uhr. “Ach ja. Zuschreibung natürlich nicht an Homer. Sondern Pigres. Verstanden?”

 “Ja”, sagte ich und lehnte mich an die Maschine, “aber leider nicht besonders gut. Ich werde überhaupt keine Rolle mehr spielen. Solange ich nicht weiß, wer dieses Stück inszeniert hat und warum.”

 “Erst einmal müssen wir von hier weg”, Professor Wolf tupfte sich den Schweiß von der Stirn, “das ist nicht der Ort für lange Erklärungen. Raus aus der Stadt.”

 Er wollte mich hinhalten.

 “Ich will eine Erklärung", sagte ich, ”und wenn ich sie nicht bekomme, können Sie zu Fuß nach Eleusis gehen. Ich fahre Sie keinen Meter weit". Professor Wolf neigte den Kopf und zuckte resigniert mit den Schultern.

 Gewonnen. Dachte ich.

 “Keiner geht irgendwohin”, sagte die Stimme von Rudi Lachmann hinter mir, “Umdrehen. Zurück. Bis an die Wand.”

 Ich drehte mich langsam um. Neben Rudi stand Wilamowitz. Seine Waffe zeigte auf Professor Wolf.

 Ein Schritt. Noch einer. Dann standen wir an. Es ging nicht mehr weiter.

(pagina 142 f.)

Erich Möchel
Copyright: Deuticke Verlag 1996

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