Der Standard-Net-Notes

Zensur im Netz

8. Jänner 1995

Das Echo ist gewaltig und es beschränkt sich nicht mehr auf Gruppen wie alt.soc.civil.liberty. Von wie alt.fan.howard-stern bis alt.motss.bisexual schimpft, klagt und räsonniert die Gemeinde über die Aktion eines Münchner Staatsanwalts, der mit CompuServe eine der Branchengrößen zwang, 200 anrüchige Usenet-gruppen weltweit auszusperren. Die Wut verteilt sich ziemlich gleichmäßig auf "compu$erverse censorship" und "German Nazi fuckheads", die es zu boykottieren gelte, wobei die Anregung, zehn entschlossene Hacker könnten das bekannt schwache Netz der deutschen Bundesbehörden auseinandernehmen, nicht selten fällt. Die deutschen Webber üben sich großteils in Besonnenheit, den Hackern wird geraten, erst einmal die Rechner des Freistaats Bayern aufzuknacken und bei Bedarf weist man daraufhin, daß "Deutsche schweinehundten" keine orthographisch korrekte Phrase sei.

Kreuz und quer gepostet wird ein offenbar vorzeitig freigegebener Artikel, der am Montag in "Time" erscheinen soll. Der Fall CompuServe sei "the most dramatic and far reaching attempt yet to restrict the free flow of information" schreibt Philip Elmer-Dewitt, dessen auf manipuliertem Zahlenmaterial basierende "Cyberporn"-Titelstory (Der Standard berichtete) für die Verabschiedung verschärfter Gesetze wie des "Communication Decency Amendment" mitverantwortlich war. Was mittlerweile noch geschah: Da hinlänglich bekannt sei, daß über dieses Kommunikationsnetz Kinderpornographie in VHS-Kassetten vertrieben werde, haben drei "Grüne" die deutsche Bundespost bei Essens Staatsanwaltschaft angeklagt.

Erich Möchel