Der Standard-Net-Notes

Expertenstreit um Porno am Datahighway

10. Juli 1995

Time Magazine hat getitelt, im World Wide Web (WWW) fliegen seit einer Woche die Kritiken tief: Jene Studie der Carnegie Mellon University, die der Titelstory über Pornographie am Datenhighway zugrunde liegt, sei nicht nur "unsophisticated" sondern auch "poorly executed, weakly documented" und außerdem von einem nichtgraduierten Elektro-Ingenieur verfaßt. So lautet die Kritik der Professoren Donna Hoffmann und Thomas Novak (Vanderbilt University), die mit Seminaren über Marketing im Web seit langem ebendort vertreten sind.

Studiebautor Marty Rimm, der angekündigt hat, sein gesamtes, etwa 2000 Seiten starkes Elaborat noch diese Woche komplett ins Web zu stellen, warf in einer neunseitigen Kritik der Kritik den Professoren mangelndes Expertentum in Sachen Pornographie und Recht vor und wies die Vorwürfe als unfair und hysterisch zurück.

Die Professoren wiederum wundern sich, warum der Autor auf Anfragen anderer Netz-Erforscher bis dato nicht reagiert hatte und warum diese Studie aus dem Jahr 94 gerade jetzt erscheint.

Merkwürdig ist es in der Tat, daß mitten in die Diskussion des U.S. Senats über eine Verschärfung der Kommunikationsgesetze eine Studie über "Marketing Pornography on the Information Superhighway" veröffentlicht wird und sich dabei herausstellt, daß von "917 410 untersuchten Bildern und Texten, die 8.5 Millionenmal in über 40 Ländern" verbreitet wurden, das gesamte Material aus lokalen, als "adult" ausgewiesenen U.S. - Networks stammt, die vom Internet aus nicht zugänglich sind. Aus diesen tausenden "Bill Board Systems" (BBS), meistens Einmann-Betrieben, fanden 2830 anstößige Bilder den Weg in 32 der in fünfzehn Jahren auf über 8000 angewachsenen Usenet-Diskussiongruppen. Im boomenden World Wide Web fand Rimm unter 11,576 untersuchten Adressen - zusammengetragen von Carnegie's "Lycos"-Robot, über den DER STANDARD unlängst berichtetet hat - gerade neun anstößige.

In Wien allein wären es schon ein paar mehr, die über die lokalen Bill Board Systeme "Magnet" und "Black Box" zugänglich und nur in Schrift verfügbar sind. Ihre Pornographie sollten sich interessierte User selbst herstellen, meint "Mademoiselle Mimi", die über die Etikette in der "Black Box Intimzone" wacht. Durch ihren Filter muß, wer eine anonyme "Wahnsinnslasterpempernacht" erleben, oder sich die Pornoromanze "Annette und Achim" in Fortsetzungen geben will. Auch wenn dieser Bereich des Virtuellen noch stärker von Männer dominiert ist, als der große Rest, findet Mademoiselle, daß gerade fernschriftliche Kontaktaufnahme "Frauen grundsätzlich in eine bessere Position" als im wirklichen Leben setzt: "Ganz tiefe Meldungen" aus der Machismo-Ecke seien elektronisch am einfachsten abzustellen.

Wie es um die rechtliche Lage im Kyberall und hierzulande bestellt ist und welche Empfehlungen eine vierköpfige Forschungsgruppe zum Schwerpunkt Informationsrecht und Computerstrafrecht gibt, wird am Mittwoch in der Studie des Wissenschaftsministeriums "Netz ohne Eigenschaften" vorgestellt. Wie zu erfahren war, wird nicht dafür plädiert, "von vornherein Reglementierungen einzuführen."


Erich Möchel

TIME World Wide Home Page

Marty Rimm's Critique of critique by Hoffman & Novak