FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Buchcover mit Grafik: Hochhaus mit Schild "ORF"

Deuticke Verlag

Erich Moechel

Die IT-Nachrichtenarchive der Anstalt 1999-2022

In 23 Jahren Technologie-Berichterstattung wurden vier große Nachrichtenarchive bis an den Rand gefüllt. Anders als der Autor bleiben diese Archive für die Öffentlichkeit verfügbar.

Von Erich Moechel

Der Autor geht, doch die Archive bleiben. In 23 Jahren Berichterstattung wurden insgesamt vier Archive bis an den Rand gefüllt. Allein von 2017 bis 2022 waren das 386 lange Artikel mit rund drei Millionen Zeichen, in alten Printkategorien gerechnet, ein mehrbändiges illustriertes Werk.

Entwickelt und zu einem IT-Nachrichtenformat für das Netz adaptiert wurde dieser ursprüngliche Printmagazinstandard zusammen mit der Redaktion von FM4. Die Redaktion der „Blauen Seite“ hat dieses ungewöhnliche Projekt mit großzügigen Links auf eine Reichweite gebracht, die für derartige Nachrichten außergewöhnlich ist. Der Autor geht und die Kollegas fehlen ihm schon jetzt.

Screenshot von fm4.ORF.at

ORF

Die Suche im FM4-Archiv öffnet sich über die Lupe im Header jeder Seite, einfache Stichwortsuche ist zwar möglich, Boolean funktioniert leider nicht. Auf der Habenseite ist zu verbuchen, dass sich die Suchmöglichkeit über beide FM4-Archive zurück bis 2010 erstreckt.

Die FM4-Archive im Scrollback

Die gesamte Berichterstattung zielte auf allgemeingebildete, an Technologie grundsätzlich interessierte Menschen, die allerdings kaum über technische, sondern über ganz andere Kernkompetenzen, Kenntnisse und Interessen verfügen. Da diese Leute ganz selbstverständlich immer modernere Kommunikationstechnologien benützen, sollte es daher auch Interesse an technologischen Neuentwicklungen und Bedrohungen geben. Das war die Hypothese. Die anfängliche Skepsis im Jahre 2010 war, ob und wie denn diese doch eher musisch und kulturell interessierten jungen Leute von FM4 mit der Technologiebesessenheit der Texte zurechtkommen würden.

Drei Wochen nach dem Ende der ORF-Futurezone und dem Wechsel zu FM4 war von Skepsis keine Rede mehr. Das Web-Team vom FM4 hatte ganz selbstverständlich die Aufmachung übernommen, als hätte man schon immer Artikel über Abhörschnittstellen in 5G-Netzen, aufgebohrte TLS-Transportverschlüsselungen oder Data-Mining mit Montagen visualisiert. Die Herausforderung für den Autor war dabei, großteils doch nicht ganz unkomplexe Technologien mit Analogien und Similes, mit Downgrades und Vereinfachungen so zu beschreiben, dass interessierte Redakteur:innen eines Indie-Pop-Radios gut verstehen können, was mit dieser Technologie bewirkt werden kann, weil sie ja so und so funktioniert. Es war jedes Mal eine Erleichterung, wenn die diensthabenden FM4s nach Lektorat vermeldeten: „Typos sind raus, alles gut verständlich.“ Und ein Triumph, wenn es denn noch dazu hieß: „A spannende Gschicht.“

Screenshot von der Futurezone

ORF

Das Archiv der Futurezone, das von der APA gehostet wird, ist ebenso nach einfachen Stichworten durchsuchbar. Unter den Meldungen von 2010 bis 2006 sind 400 längere Artikel und Analysen des Autors. Die Leitung der FuZo lag ab 2006 in den Händen des trefflichen Doctors Günter Hack. Insgesamt umfasst dieses Archiv mehr als 50.000 Meldungen und Artikel bis auf das Jahr 1999 zurück. Die Artikel von 2006 bis 1999 sind nicht namentlich gezeichnet, da war der Autor leitender Redakteur.

Die Archive der ORF-Futurezone im Scrollback

Eine weitere Challenge dabei war, dass alle diese Ketten von Analogien und Similes in den Artikeln zu den tatsächlichen technischen Gegebenheiten in etwa stimmig sein mussten und dabei kaum hatschen sollten. Die technologischen Umstände sollten in möglichst anschaulichen Analogien und Metaphern abgebildet werden, damit sich eine interessierte Öffentlichkeit ein Bild über das Funktionieren einer neuen oder den Missbrauch einer gewohnten Technologie machen konnte, ohne dass die mitlesende IT-Community einen zunehmend gequälten Eindruck machte.

Buchcover mit Grafik: Hochhaus mit Schild "ORF", davor ein Mann mit einem entsetzten Gesichtsausdruck

Deuticke Verlag

Zugleich mussten Titel und die ersten beіden Absätze dem nüchternen Nachrichtenduktus der Blauen Seite entsprechen, denn nur so war die Chance auf Reichweite für Artikel gegeben, die den technischen Fortschritt eben nicht in Form von Beschreibungen neuer Produkte wie Smartphones oder Ipods abbilden, weil dieser Fortschritt eben auch eine dunkle und hochgefährliche Seite hat.

Nur dank der Offenheit der Kollegas von ORF.at für diesen Zugang zur IT konnte es gelingen, so sperrigen Aufmachern wie „Streit um neue Überwachungs-Interfaces für 5G“ eine Reichweite zu verschaffen, die der Brisanz ihres tatsächlichen technopolitischen Gehalts etwa entspricht. Und so ist die Verabschiedung von den Kollegas bei ORF.at und FM4 denn auch der schwierigste Teil dieser Bilanz. Der Abschied von den oberen Sphären bis hinauf zur Generaldirektion der Anstalt, wo Nachrichten im Internet derzeit für eine Art „Zeitung“ gehalten werden, ist hingegen ein wahrer Seelenkirtag mit tanzenden Synapsen.

Epilog

Ein solch surrealer Zeitungswitz wäre selbst dem dazumal berüchtigten Surrealisten-Duo Rubinowitz & Moechel des Jahres 1993 nicht eingefallen. Wir hatten es damals nur bis zur Unterstellung eines „Verkaufs der Rechte an allen Handywitzen an die Kirch-Gruppe durch die Generaldirektion der Anstalt“ gebracht.

Aktuell: