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Drohnenaufnahme auf das Gebäudes mit Sat-Spiegeln

Nomen_Nescio/FM4

Erich Moechel

Russlands Sat-Spionagestation in 1220 Wien

Auf einer Plattform mit 45 Metern Durchmesser in 26 Metern Höhe schauen 13 Dishes in verschiedenen Winkelgraden Richtung Äquator, wo die geostationären Satelliten stehen. Der Durchmesser der größten Spiegel beträgt etwa vier Meter.

Von Erich Moechel

Wien macht seinem zweifelhaften Ruf als Spionagehauptstadt Europas wieder einmal alle Ehre. Mitten im 22. Bezirk, nämlich auf dem Dach der Russischen Vertretung bei den Vereinten Nationen, steht eine Satellitenspionagestation. Ein Gutteil der Sat-Antennen zielt dort auf die Datentransponder westlicher Satelliten, teils haben die Antennen aber eine andere Funktion.

Der Ausbau dieser Station begann nach 2014, als gerade einmal fünf Spiegel zu erkennen waren. Ab 2018 aber zeigen die Luftaufnahmen des Wiener Geoinformationssystems dann einen regelrechten Wachstumsschub der Station. Mittlerweile ist der Antennenpark auf 13 Schüsseln angewachsen.

Luftbild 2021/1

ViennaGIS/FM4

Dieser Screenshot stammt wie alle anderen in diesem ersten Artikel zum Thema aus dem Geodaten-Viewer der Stadt Wien alias Vienna GIS, er zeigt die Station im Jahr 2021, das ist das neueste dort aktuell verfügbare georeferenzierte Luftbild. Die russische Vertretung bei den Vereinten Nationen logiert in diesem Gebäudekomplex in Wien 22, Erzherzog-Karl-Straße 182. Die Ausrichtung dieses Komplexes ist etwa Nordnordost - Südsüdwest, die Dishes zielen alle in verschiedenen Winkeln Richtung Äquator, wo sämtliche geostationären Satelliten nebeneinander stehen. Im ersten Gebäude ganz oben sind zwei große Auslässe mit großen Ventilatoren erkennbar, darunter muss das Rechenzentrum dieser Anlage sein.

Vienna GIS als Recherche-Tool

Die Königswarte in Kittsee wird von der NSA zusammen mit dem Heeresnachrichtenamt betrieben. Diese SIGINT-Station ist Teil des Echelon-Netzes der NSA.

Mit dieser Station wird von der Russischen Föderation jedenfalls „Signals Intelligence“ betrieben, im Militärjargon kurz SIGINT oder auf deutsch „elektronische Nachrichtenaufklärung“. Die auf dem Ausschnitt unten sichtbaren großen Dishes haben einen Durchmesser von etwa vier Metern, die kleineren sollten zwischen 150 und bis 250 Zentimeter Durchmesser aufweisen. Auch das lässt sich mit dem Datenviewer das Wiener Geoinformationssystems in etwa messen. Für eine SIGINT-Station ist das jetzt nicht übermäßig groß, allerdings sind hier die Umstände zu berücksichtigen.

Die Anlage befindet sich nämlich auf dem Dach eines Gebäudes, damit sind der Spiegelgröße und vor allem dem Gewicht der Sockel durch die Statik bestimmte Grenzen gesetzt. Zudem steht die Station in etwa 25 Metern Höhe völlig frei auf dem Donaufeld, da rundum nur weit niedrigere Gebäude sind. Die Spiegel sind also jeder Windlast ungeschützt ausgesetzt. Die Königswarte steht hingegen an einem nach Südosten abfallendem Hang, daher sind dort einige Dishes mit zehn und mehr Metern Durchmesser möglich, die Mehrzahl hat aber ebenfalls um die vier Meter Durchmesser wie auf der russischen Station.

Luftbild 2017

ViennaGIS/FM4

Diese Aufnahme aus 2017 zeigt deutlich weniger Dishes als vier Jahre später auf der jüngsten Luftaufnahme. 2018 war dann ein Aufrüstungsschub zu beobachten. Auf dem hier hier noch weitgehend schüsselfreien nördlichen Bogen drängten sich neue Dishes. Das deutet auf ein Ereignis oder eine Entwicklung im Jahr 2017 hin, die diese Reaktion Russlands zur Folge hatte.

Was es für Sat-SIGINT so braucht

Die NSA-Station ganz oben im EY-Tower in der Wagramerstraße ist nur drei Kilometer Luftlinie von der russischen Station entfernt.

All diese Spiegel, ob sie jetzt passiv lauschen und/oder für Uplinks verwendet werden, sind äußerst effiziente Signalverstärker. Je schwächer die Signale einfallen, desto größere Dishes müssen eingesetzt werden. Das ist dann notwendig, wenn der Zielsatellit viele Längengrade entfernt am Horizont steht und das Signal daher eine lange Strecke durch die Erdatmosphäre zurücklegen muss und dabei durch die Wasseranteile in der Atmosphäre stark gedämpft wird. Dasselbe gilt, wenn der Satellit zwar auf einem nahen Längengrad zur jeweiligen Schüssel steht, die SAT-Transponder aber ein anderes Zielgebiet am Boden ausleuchten.

Wenn es sich um eine aktive, also sendefähige Schüssel handelt, die dazu dient, Datenströme oder Steuersignale an den Satelliten zu schicken, braucht es ebenso höhere Leistung und daher größere Dishes. Auf den Luftbildern sind Schienen auf Sockeln der größeren Dishes zu erkennen, das ist technisch auch erforderlich. Geostationäre Satelliten sind nämlich nicht vollständig stationär sondern fliegen in 35.000 Km Höhe kleine Achterschleifen. Die Antennenkonstruktion muss daher mehrmals pro Tag den Fokus automatisch nachjustieren. Bei kleineren Dishes ist das egal, größere Schüsseln aber bündeln derart stark, dass auch so kleine Abweichungen zum Abreißen von Datenverbindungen führen.

Luftbild 2014

ViennaGIS/FM4

2014 befanden sich noch sehr wenige Antennen auf diesem Dach. Das kreisrunde Gebäude, auf dem die Dishes stehen, hat einen Durchmesser von 45 Metern. Die Geodaten dieses Gebäudes sind von der Gebäudemitte aus gemessen 16,468932 Länge und 48,223126 nördlicher Breite. Es ist schon erstaunlich, wie viele Features der Geodatenviewer Vienna GIS für derartige Recherchen zu bieten hat.

Aus der Toolbox geplaudert

Es handelt sich also nicht um eine monolithische Station, wie sie aus dem US-System Echelon bekannt sind, wo alle Antennen im Grunde dasselbe machen: nämlich Datenströme abgreifen. Auf dieser Anlange in Wien 22 hat sich seit 2014 Jahr für Jahr auffallend viel verändert. Dishes kamen dazu, andere mit schon länger stabiler Ausrichtung wurden von Südost nach Südwest und umgekehrt gedreht. Es ist gut möglich, dass diese kreisrunde Station auch als Bodenrelaisstation für Daten dient, die von irgendwo weiter westlich stammen.

Wie man sieht, werden am Anfang einer solch größeren Recherche mehr Fragen aufgeworfen, als beantwortet werden können. Doch genau solche Fragen zweiter Ordnung führen auf die Spur von neuen Korrelationen, hinter denen sich bereits Antworten verstecken könnten - oder halt auch nicht. Die Recherche ist jedenfalls schon deutlich weiter fortgeschritten, als es sich hier zum Auftakt niederschlagen konnte.

Spiegel nummeriert

Google/Nomen_Nescio

Dieser Ausschnitt von Google Earth von Ende 2021 wurde deshalb ausgewählt weil durch den Lichteinfallswinkel und dementsprechend auch dem Schattenwurf die Antennen und ihre Ausrichtung besonders gut erkennbar sind. Es dient allein zur Orientierung bei der Analyse, die ersten Ad-Hoc-Messungen wurden aber über Vienna GIS durchgeführt, Mehr dazu im nächsten Teil.

Wie es weitergeht

Inzwischen liegen bereits eine Fotoserie vor und Messungen „π x Daumen“ zur Ausrichtung der 13 Antennen. Veröffentlicht wird der nächste Teil, sobald er fertig ist. Dass ganz oben nur ein Autorenname steht, liegt nur daran, dass sich drei weitere Personen, die zum „making of“ nicht nur dieses Artikels mit ihrer Expertise und ihren Skills maßgeblich beigetragen haben, gerade an falscher Bescheidenheit übertreffen. Das gehört nun einmal zum guten Ton im exklusiven „Nomina Nescio Club“.

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