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Erich Moechel

Russische IT-Branche mit schwerer Schlagseite

Die in Holland niedergelassenen russischen Internet- und Mobilfunkkonzerne Yandex, MTS und VEON haben akute Liquiditätsprobleme. Die Sanktionen schneiden sie von ihren Umsätzen in Russland ab.

Von Erich Moechel

Die Sanktionen gegen Russland zeigen im IT-Bereich bereits direkte Wirkung. Russlands größter Internetkonzern Yandex gab am Freitag bekannt, seine profitable E-Commerce-Sparte zu verkaufen. Am Mittwoch war der CEO des Unternehmens zurückgetreten. Vor dem Delisting von der US-Börse NASDAQ Ende Februar hatte Yandex noch 6,8 Milliarden Dollar Marktwert, nun droht der Konkurs.

Bei der in den USA ebenfalls vom Handel ausgesetzte MTS Telecom, mit 85 Millionen Kunden größter Mobilfunker Russlands, gibt es Veränderungen im Aufsichtsrat. Nicht nur diese Flaggschiffe, die beide in Holland niedergelassen sind, sondern die gesamte russische IT-Branche wurde von den Sanktionen offenbar völlig unvorbereitet getroffen.

Yandex Presse Aussendung

Yandex

Wie man dieser Aussendung entnehmen kann, ist dieser russische Konzern von seinen Geschäftsfeldern her fast eins zu eins so aufgestellt wie Google: Suche, Werbung, Cloud und selbstfahrende Autos. Die Infotainment- und die Nachrichtensparte von Yandex soll hingegen verkauft werden. An diesen beiden Sparten sind auch die Sanktionen festgemacht.(siehe unten)

Bei Yandex startet der Abverkauf

Nachdem die Carrier Cogent und Lumen ihren Rückzug vom russischen Markt angekündigt hatten, muss der Datenverkehr Russlands mit der Welt umgeroutet werden.

Am Mittwoch trat Tigran Khudaverdyan als CEO von Yandex NV in den Niederlanden mit sofortiger Wirkung zurück. Yandex NV ist die Konzernmutter für die insgesamt zehn Länderniederlassungen, die an der Nasdaq notiert. Tags davor hatte die EU Khudaverdyan auf die Sanktionsliste gesetzt, vor allem wegen Yandex News, wo ein ebenso manipulativer Nachrichten-Mix serviert wird, wie vom mittlerweile fast aus dem Sichtfeld verschwundenen RT TV. Diese Yandex-Sparte steht nun ebenso zur Disposition wie Teile des E-Commerce-Geschäfts, denn der Konzern braucht dringend Liquidität

Yandex selbst wurde bis jetzt nicht direkt sanktioniert, doch die Finanzsankionen gegen russische Firmen und der Ausschluss aus dem SWIFT-Zahlungssystem hatten zur Folge, dass die Anleger in Scharen aus der Aktie flüchteten. Die Folge war ein so schwerer Kursabsturz, dass die Aktie vom Handel ausgesetzt wurde. Als expandierender Internetkonzern hat Yandex neben guten Umsätzen natürlich auch Verbindlichkeiten, die Anleger mussten befürchten, dass Yandex die Rückzahlungen bald nicht mehr bedienen könnte. Yandex ist die fünftgrößte Suchmaschine der Welt hinter Google, Baidu, Bing, und Yahoo, entsprechend hoch sind die Umsätze mit suchbezogener Werbung.

Yandex Bewertung in einem Papier vom Europäischen Rat

EU Council

Auszug aus dem Amtsblatt der Europäischen Union vom 15. März. Unter den Sanktionierten ist neben Khudaverdyan auch Roman Abramovich sowie ein Konstantin Ernst vertreten, der neben seiner Funktion als Geschäftsführer von Channel One Russia noch eine weitere Funktion innehat bzw. hatte (siehe unten)

Sanktionen, Rücktritte und fehlende Liquidität

Seine überproportionale Dominanz in der Informationssphäre im Netz, TV und Radio hatte Moskau binnen der ersten drei Kriegstage schon verloren.

Am Donnerstag trat der ebenfalls sanktionierte Konstantin Ernst von seinem Aufsichtsratssitz bei Mobile Telesystems (MTS) zurück. Die Sanktionen betrafen freilich nicht seine Tätigkeit bei MTS, denn hauptberuflich ist Ernst Geschäftsführer von Channel One Russia, einem der größten Medienunternehmen Russlands. „In dieser Funktion ist er für die Organisation und Verbreitung der antiukrainischen Propaganda der russischen Regierung verantwortlich“, heißt es in der diesbezüglichen EU-Verordnung. Am Mittwoch hatte MTS noch eine durchwegs gute Bilanz für das Jahr 2021 vorgestellt, es wird wohl vorläufig die letzte gute Bilanz gewesen sein.

Auch VEON, ein weiterer russischer Mobilfunkanbieter, hat dasselbe Problem, denn auch VEON hat seine Zentrale in den Niederlanden. Wie bei Yandex und MTS ist das Hauptgeschäftsfeld VEONs aber in Russland, durch die Finanzsanktionen wurde es vom westlichen Teil des Unternehmens abgetrennt. Wie MTS zeigte sich zwar auch VEON optimistisch, die Liquiditätsprobleme aus eigener Kraft stemmen zu können, Marktbeobachter sind angesichts der kumulierenden Probleme dieser Unternehmen allerdings weniger optimistisch. Auch bei VEON gab es einen prominenten Rücktritt, mit Mikhail Fridman zog sich einer der bekanntesten Oligarchen der ersten Stunde am Dienstag aus dem Aufsichtsrat von VEON zurück. Über seine Investmentfirma LetterOne ist Fridman, der schon Anfang März in Großbritannien sanktioniert wurde, der größte Anteilseigner von VEON.

russisches Zertifikat

gososlugi_ru

Russland verfügte bis zu den Sanktionen nicht einmal über eine eigene Zertifikationsinstanz. Das heißt, auslaufende TLS-Zertifikate können durch die Sanktionen nicht mehr erneuert werden. Ohne Zertifikate aber gibt es keine sichere TLS-Verschlüsselung etwa für Online-Banking. Seit Ende Februar stellt das russische Regierungsportal Gososlugi Zertifikate aus, ob die allerdings auch von anderen Browsern als jenem von Yandex akzeptiert werden, ist noch ungeklärt.

Tausend sanktionierte Wirtschaftskapitäne

Seit der Gleichschaltung der wenigen verblieben freien Medien in Russland, strahlen BBC,ORF und Polskie Radio wieder Kurzwellenprogramme für die Ukraine aus, die auch in Russland zu empfangen sind.

Das Ausmaß der westlichen Sanktionen hat die russischen IT-Konzerne auf dem völlig falschen Fuß erwischt. Wie die Reaktionen der sanktionierten Personen zeigen, hatten sie solch geballte Maßnahmen nicht erwartet und waren davon ausgegangen, dass es ihre Unternehmen nicht erwischen würde. Alle Beteiligten gehören nämlich nicht zum engsten Kreis der Vertrauten Putins, es sind die Helfershelfer, Propagandisten und vor allem die Devisenbringer, die in ihren Großkonzernen künftige Versorgungsposten zur Verfügung stellen. Mit Tigran Khudaverdyan - Nummer 892 - sind mittlerweile bereits fast tausend russische Wirtschaftskapitäne auf der EU-Sanktionenliste, das heißt ihre Vermögenswerte, Immobilien oder Jachten wurden beschlagnahmt und ihre Konten eingefroren. Es ist eine ganze parasitäre Klasse, die in dieser Sanktionenliste der EU da versammelt ist.

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