Wie ein Blackout in Österreich abgewendet wird
Von Erich Moechel
Das Heulen der Sirenen am 2. Oktober wird wohl von einem Gutteil der Bevölkerung wahrgenommen. Der österreichweite Sirenentest ist aber nur der Auftakt für eine Serie von Zivilschutztrainings quer durch Österreich am nächsten Wochenende. Im Gros der angenommenen Szenarien spielen großflächige Stromausfälle mittlerweile tragende Rollen.
An der Einschätzung eines solchen Großausfalls scheiden sich aber auch die Geister. Ein großflächiger regionaler Stromausfall sei zwar wahrscheinlich, aber von den Folgen her nicht mit einem österreichweiten Totalblackout gleichzusetzen, sagte Alfons Haber zu ORF.at. Der Vorstand des Stromnetzregulators E-Control im Dialog über die (Un-)Wahrscheinlichkeit eines persistenten Blackouts in Österreich.
APG
Blackout als skalierende Katastrophe
Wie die Kommunikationskette in Österreich bei einem Atomunfall funktioniert
„Die Wahrscheinlichkeit eines großen regionalen Stromausfalls ist in Österreich natürlich immer gegeben“, sagte Haber mit dem Verweis auf Naturkatastrophen zu ORF.at, „aber das ist quantitativ wie qualitativ doch etwas völlig anderes als ein flächendeckendes Blackout. Dieser Begriff wird meiner Meinung nach leider inflationär verwendet.“ Während auch ein großer regionaler Stromausfall zwar erhebliche Schäden anrichten kann, aber spätestens binnen Tagesfrist behoben werden kann, wäre ein echtes Blackout eine Katastrophe, die entlang des Zeitpfeils immer weiter eskaliert. Kein Strom bedeutet kein Benzin, kein Bankomat, weder Handys noch das Internet funktionieren, Tiefkühltruhen tauen auf, während die Rettungsdienste nur noch rudimentär funktionieren und die Versorgung mit Lebensmitteln langsam zusammenbricht.
Alle Szenarien gehen davon aus, dass bereits an Tag drei die ersten Plünderungen von Supermärkten beginnen. Um die Wahrscheinlichkeit eines solchen Totalzusammenbruchs möglichst gering zu halten, arbeite man bereits seit Jahren daran, um entlang des Ausbaus der Energieproduktion auch die Regelkapazitäten zu erhöhen, sagte Haber. Die Stromnetze sind nämlich auf die Einhaltung der genauen Taktfrequenz von 50 Hertz angewiesen, die Toleranz beträgt hier nur 200 Millihertz. Das heißt, die Stromproduktion muss im Wesentlichen immer dem aktuellen Stromverbrauch entsprechen, ansonsten kommt das Stromnetz aus dem Takt und bricht in Folge zusammen.
Bundesheer
Die großen Regler in den Alpen
Im neuen Telekomgesetz in Österreich wird auch die Einführung des „Cell Broadcast“-Alarmsystems geregelt. Cell Broadcast ist in allen Mobilfunknetzen bereits technisch integriert und funktioniert ohne zusätzliche Software auf alten Handys genauso wie auf einem iPhone für 5G.
Bei akutem Strombedarf in Österreichs Stromnetz werden etwa Gaskraftwerke zugeschaltet und die Stromproduktion der Laufkraftwerke an den Flüssen erhöht. Die größten Schalteinheiten aber stehen in den den Bergen, nämlich die Kraftwerke in Kaprun und im Maltatal. Dabei handelt es sich um sogenannte Pumpspeicher, die in beide Richtungen regeln können. Bei Bedarf wird entweder „turbiniert“, also es wird Wasser aus dem Speichersee in die Turbinengänge angelassen und damit Strom erzeugt. Ist zu viel Strom im Netz vorhanden, wenn etwa starker Wind zu einer erhöhten Stromeinspeisung durch die Windkraftanlagen im Osten führt, schalten Kaprun, Malta und gut ein Dutzend kleinerer Pumpspeicher von „turbinieren“ auf Pumpbetrieb um.
Die Hauptstufe der Maltatalsperre allein kann so sehr schnell entweder an die 900 Megawatt in das Hochspannungsnetz einspeisen oder 400 Megawatt herausziehen und diese Leistung durch Hochpumpen in den Speichersee zu 80 Prozent in potentieller Energie wieder speichern, die beim Ablassen in kinetische Energie umgewandelt und in Folge zu Elektrizität „turbiniert“ wird. Die Leistungsspanne beträgt damit knapp 1.300 Megawatt, das sind rund zwölf Prozent der Lastspitze in Österreich. Die Leistung aller Pumpspeicherkraftwerke beträgt insgesamt 7 Gigawatt. Diese an sich schon gewaltige Regelleistungskapazität müsse bis 2030 noch ausgebaut werden, sagte Haber, denn bis dahin würden 27 Terawattstunden aus erneuerbarer Energie erzeugt und dem müsse dann eben eine entsprechende Regelleistung gegenüberstehen. Windkraft und Photovoltaik bringen als unerwünschtes Nebenprodukt der Energiegewinnung zwei gegenläufige Arten von Blindwiderständen in die Netze ein, die ebenfalls weggeregelt werden müssen.
E-Control
Eine Frage der Resilienz
In Deutschland hatte das IT-Katastrophenwarnsystem MoWas der Bundesregierung bei der jüngsten Flutkatastrophe völlig versagt, vor allem weil es nie in größerem Stil getestet worden war.
Was jetzt noch fehle, sei im Westen die Verbindung mit einer 380-Kilovolt-Leitung zwischen St. Peter und dem Speicherkraftwerk Kaprun, so Alfons Haber weiter, da die bestehende 220-KV-Leitung nicht reiche. Hinter Kaprun hängt nämlich auch das Maltatal, werden die beiden weitaus größten und schnell wirksamen Regelelemente im gesamten Stromnetz durch eine stärkere Leitung angebunden, dann können logischerweise größere Kapazitäten für die stromhungrigen Industriegebiete in Ober- und Niederösterreich verfügbar gemacht werden. Dasselbe gilt auch für die Südstrecke zu den steirischen Industrieregionen, auch hier ist ein Upgrade für die 220-KV-Strecke nötig.
Was nun die Resilienz des Stromnetzes in Österreich betrifft, so verweist Haber auf den gefährlichen Vorfall in den Stromnetzen Südosteuropas zu Jahresbeginn, der die Versorgung des gesamten Kontinents ins Wanken brachte, bevor er weggeregelt wurde. Am 8. Jänner kam es laut dem Verband europäischer Netzbetreiber (ENTSO-E) zu hohen Stromflüssen aus dem Südosten nach Westeuropa. Kurz nach 14 Uhr fiel im Umspannwerk Ernestinovo (Kroatien) eine Kupplung aus und die Stromflüsse verteilten sich auf umliegende Leitungen, die wegen Überlastung in die Knie gingen. Mehr als ein Dutzend Stromleitungen, über die auch Großverbraucher versorgt wurden, fielen in Kroatien und Serbien aus. Dadurch entstand ein Überangebot von Strom im Südosten, gefolgt von einem Strommangel im westlichen Teil Europas.
E-Control
Nach einer Stunde war der Spuk vorbei
„Das Problem kam nahezu in Lichtgeschwindigkeit auf uns zu“ sagte Haber, bis dann die Notfallautomatik eingesetzt habe. Nach dreißig Sekunden wurde der Südosten Europas automatisch abgetrennt. In Österreich sprangen Gaskraftwerke an, Wasserkraftwerke wurden auf Kapazität geschaltet, der Flughafen Wien-Schwechat und ein paar andere Großverbraucher gingen mit ihren Dieselaggregaten kurzfristig in den Notbetrieb. In Frankreich und Italien wurden zur Stabilisierung der Versorgung ebenfalls große Industriekunden abgeworfen. Nach ziemlich genau einer Stunde, als sich der Südosten ebenfalls wieder stabilisiert hatte, war der Spuk bereits vorbei. In beiden Hälften des europäischen Stromnetzes regierten wieder 50 Hertz und die beiden Teile wurden wieder zusammengeschlossen.
E-Control
Auch in den direkt betroffenen Gebieten Kroatiens und Serbiens kam es zwar zu Stromausfällen, bis alle Leitungen wieder instandgesetzt waren. Um ein „Blackout“ handelt es sich freilich nicht, da ja in weiterem Umkreis alles funktionierte. Das ist es wohl, was ein Blackout von einem regionalen Stromausfall grundsätzlich unterscheidet: Bei einem Blackout sind alle Regionen auf sich selbst gestellt, während der ersten 24 Stunden ist daher kaum Hilfe aus irgendeiner Richtung zu erwarten. Ganz anders verhält es sich bei einem Stromausfall, der auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt ist. Rundherum gibt es Strom, Benzin, Kommunikation, Dieselaggregate und - wie man Österreich kennt - sind fünf Dutzend gut ausgerüstete Freiwillige Feuerwehren aus der Umgebung binnen Minuten einsatzbereit.
Wie die Katastrophenserie weitergeht
Auch wenn weiter am Ausbau der Regelkapazitäten gearbeitet wird, ausschließen lässt sich ein flächendeckender Stromausfall keineswegs. Die schnellen Zuwächse bei erneuerbaren Energien sorgen für zusätzliche Volatilität im System, da die Erneuerbaren - die am 8. Jänner überhaupt keine Rolle spielten - nun einmal nicht primär von Menschen sondern von der Wetterlage gesteuert werden. Hinter der Wetterlage steht wiederum die Klimakrise, dass es in Folge zu Vorfällen wie im Jänner kommt, ist daher leider sehr wahrscheinlich. Und genau deshalb sind laufend Übungen wie die am 2.Oktober nötig, da - wie bei jeder Krise - auch menschliches Versagen ein entscheidender Faktor ist. Zum Abschluss dieser Serie zum Katastrophenschutz kommt im Verlauf der Woche noch eine Folge, wie die Kommunikation unter den Bedingungen eines Blackouts in Österreich funktioniert bzw. funktionieren sollte.
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Publiziert am 26.09.2021