Zuviel an Virtualisierung stoppt 5G-Überwachungsstandards
Von Erich Moechel
Die weltweite Standardisierung der Schnittstellen zur Überwachung in den 5G-Mobilfunknetzen ist durch die Pandemie fast zum Erliegen gekommen. In der zuständigen internationalen Arbeitsgruppe 3GPP/SA3LI der internationalen Telekommunikationsunion (ITU) ist darüber ein offener Konflikt ausgebrochen. Das zeigen aktuelle technische Dokumente, die ORF.at vorliegen.
Bild oben: Ausschnitt aus dem Gemälde „Großer Turmbau zu Babel“ von Pieter Brueghel d. Ä.
Die Grundlage aller 5G-Services, nämlich die Virtualisierung aller Services in Mobilfunk-Clouds hatte die Komplexität der Überwachungsmechanismen schon davor laufend erhöht. Nun hat die durch die Pandemie erzwungene Virtualisierung der Meetings eine Art babylonischer Sprachverwirrung auf technischer Ebene ausgelöst.
3GPP
Eine unscheinbare Textdatei
Seit August 2019 versuchen Strafverfolger und Geheimdienste, die Telekoms zu zwingen, die 5G-Sicherheitsarchitektur entlang ihrer Überwachungswünsche umzubauen.
Die vor Covid-19 übliche Rate dieser Meetings, auf die jeweils ein Konvolut von Dokumenten folgten, lag beі durchschnittlich sechs solcher Treffen pro Jahr. Abgehalten wurden sie fast immer in einzelnen EU-Staaten und in den USA. Ab Anfang 2020 mussten alle ohnehin schon mehr als komplexen Abläufe in dieser Gruppe online abgewickelt werden, seitdem wurden erst zwei dieser Dokumentenѕammlungen publiziert. Die jüngste davon ist Ende Mai erschienen und seitdem hat sich bis zur üblichen Sommerpause kaum mehr etwas getan.
Eines dieser zuletzt publizierten Dokumente sticht dabei sofort ins Auge, allein schon durch sein Textformat (siehe Screenshot oben). Es handelt sich um eine interne Note eines der beiden Sekretäre an die Gruppe, deren Aufgabe es ist, die Abläufe der Standardisierung auf ihre Kompatibilität zu überwachen und ob die Delegierten auch die offiziellen Fachtermini der 3GPP-Organisation einhalten. Seit einiger Zeit haben diese Sekretäre, die vom ETSI (European Telecom Standards Institute) gestellt werden, zusätzlich informelle Interimsentwürfe für die Delegierten produziert.
3GPP
Die Seuche der Synonyme
Im Mai 2019 hatte Anti-Terror-Koordinator Gilles de Kerchove, die Parole ausgegeben… politischen Druck auszuüben, um die Definition des Standards noch zu beeinflussen.
Diese Interimszusammenfassungen dienen allein dazu, alle an der Standardisierung eines Teilprozesses aktiv Beteiligten über den gerade aktuellen Stand der Dinge zu informieren und die Verwendung der korrekten Fachtermini einzumahnen. In der Welt der Telekoms ist es seit jeher üblich, dass für alle wichtigen Vorgänge in Telekomnetzen bis zu fünf Synonyme existieren, wobei es für alle ein weiteres international gültiges Synonym der Standardisierungsorganisationen gibt.
„Alle Berichterstatter sind nicht nur für ihre eigenen Spezifikationen verantwortlich, sondern auch verpflichtet zu überprüfen, dass sich ihre CRs nicht überschneiden oder einander widersprechen.“ Auf keinen Fall dürften diese informellen Interimsentwürfe des Sekretariats jedoch als Grundlage für die eigenen „Change Requests“ (CR) herangezogen werden. Als Berichterstatter (Rapporteurs) werden jene Delegierten bezeichnet, die an weitere 3GPP-Teilgruppen über die Fortschritte in der Überwachungsgruppe 3GPP/SA3LI berichten. Dadurch verbreiten sich auch technisch falsche Informationen wie eine Seuche in anderen Gruppen, die andersartige 5G-Teilprozesse quer durch die 3GPP-Organisation normieren.
3GPP
Eine wütende Fastenpredigt, auch an die Obrigkeit
Ebenfalls im Mai 2019 hatten die Telekoms Polizeibehörden und Geheimdienste in SA3LI haushoch überstimmt. Die Stimmrechte dort werden nämlich anhand der geleisteten Mitgliedsbeiträge vergeben.
Und von mindestens einer dieser Gruppen müssen Beschwerden gekommen sein, denn anders lässt sich dieser Schrift gewordene Wutanfall des Sekretärs nicht erklären. Die Drohung, diese technisch-organisatorische Unterstützung einzustellen, ist ein völliges Novum, Vergleichbares konnte seit dem Beginn 3G-Überwachungsstandardisierung im Jahr 1999 noch nie beobachtet werden. Diese wuterfüllte technische Fastenpredigt richtete sich an alle Delegierten, die an dieser Norm für einen von vielen 5G-Services mitarbeiten, der seit dem Start von GSM exklusiv für Polizeibehörden und Geheimdienste in allen Mobilfunknetzen eingerichtet wird.
Der wohl peinlichste Umstand dabei ist, dass diese Note nicht nur an die Delegierten von Telekomausrüstern und Telekoms ging, sondern speziell auch an die technischen Beamten von Polizei, Geheimdiensten und deren angeschlossene Behörden, die in 3GPP/SA3LI die Mehrheit bilden. Unter anderem sind das Vertreter von FBI, ZITIS und Bundeskriminalamt (Deutschland), PIDS (Niederlande), der britische Militärgeheimdienst GCHQ, sein französisches Gegenstück DGSE, nicht zu vergessen die schwedische Försvarets Radioanstalt und andere. Die wiederum sind alle im Technischen Komitee TC LI des ETSI vertreten, aus dem alle Vorgaben kommen, die diese ITU-Gruppe namens SA3LI in technische Normen umsetzen muѕs.
ETSI/3GPP
Die zehn Gebote der Überwachung
Im November 2018 war die 5G-Standardisierung längst angelaufen, fest stand damals aber nur, dass alles sehr kompliziert werden wird.
SA3LI wird weitgehend von behördlichen Delegierten aus Europa und den USA dominiert, ETSI-Personal kontrolliert. Deshalb wurde SA3LI in allen früheren Berichten auf ORF.at auch lange Zeit vereinfacht als ETSI-Überwachungsgruppe bezeichnet, was formaliter natürlich nicht richtig ist. Seit GSM sind diese behördlichen „Requirements“ (i.e. Vorgaben) im Wesentlichen unverändert geblieben, damals wurden sie allerdings anhand der technischen Gegebenheiten in den zentralistisch konstruierten GSM-Netzen erstellt.
Und diese Vorgaben lauten im Wesentlichen so. Auf Anordnung der jeweils „ermächtigten Behörden“ sind alle geforderten Stamm- und Metadaten eines „Anschlusses“ über eine standardisierte Schnittstelle an die jeweiligen Behörden zu liefern. Dazu müssen sämtliche Telefonate auch beim Roaming in Echtzeit mitgeschnitten werden können. Die technische Umsetzung davon erwies sich schon bei 3G als wesentlich komplexer als bei GSM, für 4G wurde sie dann nur noch durch komplexe technische Workarounds ermöglicht. In 5G-Netzen, die GSM (2G) technisch nicht einmal mehr entfernt ähnlich sind, sondern ganz anders funktionieren, erweist sich eine vergleichbare Umsetzung in immer mehr Punkten nach und nach als undurchführbar.
Ein Schlusswort aus der Genesis
„Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe“, Genesis 11/7, zitiert nach Martin Luther.
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Publiziert am 01.08.2021