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Schäden nach dem Starkregen

APA/dpa/Thomas Frey

Erich Moechel

Deutsches Katastrophenwarnsystem wurde nie getestet

Beim ersten und einzigen bundesweiten Systemtest 2020 war das Modulare Warnsystemstem des Bundes (MoWas) sofort abgestürzt. Bei der aktuellen Flutkatastrophe sind die Warnungen aus dem Innenministerium nie bei der betroffenen Bevölkerung angekommen.

Von Erich Moechel

Das IT-Warnsystem MoWas der deutschen Bundesregierung hat bei der Flutkatastrophe versagt. Die Warnungen der Bundesbehörden erreichten zwar die Länder und die Bezirke, bei den betroffenen Gemeinden und den Bewohnern kamen sie jedoch nicht an. Auch der öffentlich-rechtliche WDR war nicht live auf Sendung.

Der einzige bundesweite Live-Test des MoWas hatte 2020 nach drei Minuten mit einem Systemabsturz geendet. Der zweite Test war schon der Ernstfall, und da zeigte sich, dass von den Sirenen angefangen vor Ort wenig funktioniert hatte. Was in Österreich überprüft werden müsste, erklärte der Katastrophenschutzexperte Herbert Saurugg im Dialog mit ORF.at.

Grafik

BBK

Wie diese Grafiken zeigen, besteht das zentrale Warnsystem MoWas der Bundesrepublik Deutschland aus Satelliten, Bodenstationen, Radios, Smartphones, Computern und einem weiteren Stück Technik, das wohl ein digitales Autoradio (DAB+) symbolisieren soll. Sirenen sind nicht dargestellt, in der umfangreichen Bildlegende darunter wird im allerletzten Satz gerade einmal darauf hingewiesen, dass es auch analoge Warngeräte wie Sirenen gibt.

Österreich besser aufgestellt, aber ...

Dazu in ORF.at

Nach der Flutkatstrophe wird in Deutschland darüber diskutiert, ob Warnungen nicht hinreichend erfolgt oder beachtet worden seien.

Anders als in Österreich, wo alle Sirenensysteme einmal wöchentlich und pro Jahr zweimal zentral ausgelöst auf ihre Funktion getestet werden, gibt es ein vergleichbares Maßnahmenbündel in Deutschland nicht. Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) und sein Gegenpart auf nordrhein-westfälischer Landesebene, Herbert Reul (CDU) konnten bei den Pressekonferenzen bisher weder sagen, ob es in den betroffenen Orten Sirenenwarnungen gab, noch ob vor Ort überhaupt Sirenensysteme existieren. Nach Ende des Kalten Kriegs waren die Warnsysteme „an die Gemeinden übergeben worden, mit ungewissem Schicksal“, sagte Katastrophenschutzexperte Herbert Saurugg, viele davon wurden mittlerweile einfach ersatzlos abgebaut.

„Hier ist Österreich schon deutlich besser aufgestellt. Hier weiß man, wo welche Sirenensysteme stehen, ob und wie sie funktionieren und kennt auch ungefähr die aktuelle akustische Reichweite", so Saurugg weiter. Aber wir sollten uns nicht in falscher Sicherheit wiegen. Letztlich zählt nur, was an Alarminformation bei der Bevölkerung auch ankommt und genau das wissen wir nicht.“ Letzteres ermitteln teilweise die Feuerwehren, die alle lokal über eigene Sirenen verfügen. Dazu kommen österreichweit etwa 600 Funkamateure in allen Bezirken, die parallel zum Sirenentest Funkwettbewerbe veranstalten. Bei diesen Contests müssen die genauen Standorte angegeben werden und wie viele Sirenen dort zu hören sind. „Die große Unbekannte aber ist dabei, wie viele Betroffene überhaupt wissen, was diese Alarmtöne bedeuten und welche Schritte in Folge zu setzen sind, weil in diesem Weck- Alarmsystem logischerweise keine Rückmeldungen möglich sind“, so Saurugg weiter.

Screenshot

SWR3

Wie diese Grafik zeigt, empfiehlt der öffentlich-rechliche SWR im benachbarten, gleichfalls schwer betroffenen Bundesland Rheinland-Pfalz bei Starkregen und Hochwasser die Benutzung gleich dreier Warn-Apps. Für Vorabinformationen sind solche Apps zwar sehr nützlich, als Weck-und Warnsysteme bei einer akuten Hochwasserlage aber völlig unbrauchbar. Im Katastrophengebiet in NRW waren zuallererst die Mobilfunknetze ausgefallen, das ist bei Hochwasser nun einmal der Regelfall.

Der größte Unsicherheitsfaktor in Österreich

Dazu in ORF.at
Am Sonntag wurden bereits 156 Todesopfer in Deutschland gezählt, Kanzlerin Merkel besuchte die Hochwassergebiete in der Eifel

„Die Effektivität eines auf Sirenen basierenden Alarmsystem hängt davon ab, wie weit das Wissen über die Bedeutung dieser Alarmtöne und die daraus folgenden einfachen Handlungsanweisungen in der Bevölkerung verbreitet sind. Wenn der Ernstfall eintritt, ist es viel zu spät, dieses Wissen zu vermitteln. Und genau das ist der größte Unsicherheitsfaktor des österreichischen Systems“, so Saurugg. Gemeint ist damit, dass ein unbestimmter Teil der gerade akut gefährdeten Bevölkerung die Sirenen zwar hört, sie aber als größeren Feuerwehreinsatz wahrnimmt und sich dann umdreht und weiterschläft.

Die mit den Tonsequenzen verbundenen Handlungsanweisungen sind dabei denkbar einfach, sie laufen in Österreich alle letztlich auf dieselbe Handlungsanweisung hinaus: ORF-Radios bzw. TV einschalten. Anders als die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland ist der ORF das Katastrophenschutz-Zentralorgan zur Information der Bevölkerung auf Bundes- wie auf Landesebenen. Dazu wird es in Folge einen eigenen Artikel geben, denn diese Materie ist viel zu umfangreich, um sie so nebenbei hier vollständig darzustellen. Deshalb folgt hier nur die offizielle Grafik.

Sirenensignale

BMI

Diese Grafik des österreichischen Zivilschutzverbands der zum BMI gehört, zeigt die Abfolge der Signale. Der auf- und abschwellende Ton mit der Legende „schützende Räumlichkeiten aufsuchen“ ist - wie sich in Deutschland gezeigt hat - bei Hochwasserlagen nur bedingt nützlich bzw. kann bei extremen Hochwasserlagen sogar gefährlich sein. In NRW wurden reihenweise ganze Gebäude weggespült.

Test und Zusammenbruch des MoWas 2020

Herbert Saurugg

Public Domain

Der ehemalige Berufsoffizier Herbert Saurugg - sein letzter Rang war Major - verfügt als Einzelperson über dermaßen viele verschiedene Qualifikationen im Katastrophenschutz, wie man sie sonst nur in einem ganzen Team von operativen Katastrophenschützern findet.

Beim Test des deutschen Bundesystems MoWas im September 2020 war alles ganz schnell gegangen. Auf Bundesebene wurde Alarm ausgelöst, der wie in einer Kettenreaktion seinen vorhergesehenen Behördenweg weiter in die Länder und dann in Bezirke nahm. Da man auf den Landesebenen allerdings der Überzeugung war, dass die Alarmauslösung Ländersache sei, wurden auch in den Bundesländern sozusagen die Alarmknöpfe betätigt. Bei 16 Bundesländern auf demselben IT-System waren das einfach zu viele Kettenreaktionen auf einmal, die Folge war der MoWas-Absturz. Das Rundherum und die Folgen des MoWas-Tests sind dieser Analyse von fünf Sicherheitsexperten zu entnehmen

Offensichtlich sind auch im MoWas-System der Bundesrepublik Deutschland keinerlei Rückmeldungen an das Innenministerium vorgesehen, nämlich ob der Alarm in den Katastrophengebieten überhaupt angekommen ist. Zur Überraschung aller Beobachter hatte der deutsche Innenminister Seehofer nach seinem Besuch in den überschwemmten Gebieten erklärt, das MoWas-System habe zufriedenstellend funktioniert. Mit dem Zusatz, der Rest sei Ländersache. „Es ist verdammt noch einmal die Aufgabe jeder nationalen Regierung, zu überprüfen, ob ihre eigene Sicherheitskette bis zum letzten Glied funktioniert“, sagte Saurugg dazu, hörbar enragiert. Ebenso unfassbar sei, dass auf Landesebene nicht einmal die Autobahnen vor Ort rechtzeitig gesperrt wurden. Dutzende Fahrzeuge waren mitten in die steigenden Fluten geprescht und in Folge versunken. Nicht einmal das Verkehrswarnsystem vor Ort hatte funktioniert.

Wer live on Air war und wer nicht

Direkt im Katastrophengebiet Nordrhein-Westfalen war nur eine einzige FM-Radiostation permanent on Air und berichtete schon vor der Flutwelle live vom Geschehen vor Ort. Es war die winzige Lokalstation Radio Wuppertal, die zuletzt über ein Notstromaggregat auf Sendung blieb. Die Landesmedienanstalt WDR in Nordrhein-Westfalen sendete während der verhängnisvollen Stunden, als die schon davor randvollen Talsperren übergingen und Menschen reihenweise ertranken, ihre Nachtprogramme aus der Konserve. Erst deutlich nach Mitternacht brachte WDR5, also das fünfte Radioprogramm, Nachrichtenupdates im 15-Minutentakt, während das Nachtprogramm weiterlief. In allen anderen Programmen gab es nur Verweise auf WDR 5. Um diese Zeit konnte der WDR aus Wuppertal nicht mehr live on Air gehen, weil das Studio vor Ort unter Wasser stand.In Wuppertal hatten zumindest die Sirenen funktioniert, an vielen anderen Orten in Nordrhein-Westfalen blieben sie stumm.

Notwendige Krisenkommunikation

„Krisenthemen müssen immer vorab ausreichend und breitenwirksam kommuniziert werden, denn ansonsten werden die Alarmsysteme für die Bevölkerung und die Krisenkommunikation im Katastrophenfall nicht so funktionieren, wie sie sollten. Hier ist auch in Österreich noch sehr viel Luft nach oben“, sagte Saurugg abschließend. In diesem Sinne folgt am Sonntag der nächste Artikel zum Thema.

Letzter bekannter Stand aus den deutschen Überschwemmungsgebieten bei Redaktionsschluss dieses Artikels: 170 Tote und mehr als 150 Vermisste.

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