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Erich Moechel

EuGH-Urteil bremst neue Vorratsdatenpläne aus

Das Urteil des EuGH am Dienstag platzte mitten in die Pläne des Ministerrats für eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Es ist das vierte negative Urteil des obersten EU-Gerichts dazu in Folge.

Von Erich Moechel

Seit Mitte Februar berät der Ministerrat über das Urteil des Europäischen Gerichtshof gegen die Vorratsdatenspeicherung vom 6. Oktober. Der Spruch in einem der laufenden Verfahren gegen die Speicherpflicht von Metadaten für Strafverfolger hatte den Vorstoß der deutschen Ratspräsidentschaft zur Wiedereinführung der Maßnahme im Herbst neutralisiert.

Mitten in die Beratungen des EU-Ministerrats, wie man den vom EuGH vorgegebenen, sehr engen Spielraum für eine neue einschlägige Verordnung nützen könnte, platzte das nächste EuGH-Urteil. Am Dienstag entschied der EuGH gegen die Vorratsdatenspeicherung in Estland und schränkte den Zugriff durch Strafverfolger auf Metadaten weiter ein.

EuGH-Urteil bremst neue Vorratsdatenpläne aus

EuGH

Das Urteil betrifft einen Fall aus Estland, der bis vor den EU-Gerichtshof durchgefochten wurde. Die grundsätzliche Frage an den EuGH war, ob der Zugriff auf Daten aus der Vorratsspeicherung in dieser Strafsache zulässig war, oder nicht. Der Spruch des EuGH ist, man sieht, nicht nur unmissverständlich ausgefallen, sondern geht über diese Fragestellung klar hinaus.

Österreich bei Vorratsdatenallianz nicht dabei

In der Mitte Februar mit vier Jahren Verspätung erschienenen ersten Ratsversion der E-Privacy-Verordnung wurde eine neue Vorratsdatenspeicherung bereits verankert

Estland ist einer von etwa zehn Mitgliedsstaaten, die eine Wiedereinführung der Maßnahme seit Jahren unermüdlich vorantreiben. Angeführt wird diese Vorratsdatenallianz von Deutschland, das seine Ratspräsidentschaft bis Ende Dezember ganz in den Dienst dieser Allianz zur Ausweitung der Überwachung gestellt hatte. Sekundiert wird Deutschland im Rat dabei von Frankreich, Spanien ist ebenfalls dabei, nicht aber Österreich.

Wie dazu aus Brüssel zu erfahren war, spielt Österreich in diesem Prozess nur eine Beobachterrolle. Das ist insofern ein Novum, weil die Vorgehensweisen Österreichs im Rat gerade bei Überwachungsangelegenheiten jahrzehntelang eng mit Deutschland akkordiert war. Welche Koalition in Wien regierte, war dabei unerheblich. 2018 hatte die österreichische Bundesregierung unter der türkis-blauen Koalition ihre Ratspräsidentschaft noch mit einem reinen Überwachungsprogramm angetreten, das dem Programm der deutschen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 zum Verwechseln ähnlich sah.

EuGH-Urteil bremst neue Vorratsdatenpläne aus

EU Ministerrat

Während der letzten Februarwoche war im Rat begonnen worden, die Chancen für eine neue Vorratsdatenspeicherung angesichts des EuGH-Urteils vom Oktober zu diskutieren. Das vorliegende Dokument wurde - wie gewohnt - von der britischen Bürgerrechtsorganisation Statewatch veröffentlicht

Methode steter Tropfen

Bereits unter der österreichischen Ratspräsident 2018 war ein Auftrag an die EU-Kommission zur Sondierung der Chancen für eine neue Vorratsdatenspeicherung erteilt worden.

Die Vorratsdatenallianz sprach sich im Rat geschlossen für einen Anlauf zu einer weitgreifenden, neuen Verordnung aus und plädierte dafür, auch die E-Privacy-Verordnung für Vorratsdatenspeicherung in die Pflicht zu nehmen. Es ist dieselbe Taktik, die aktuell auch bei der geplanten Entschlüsselungspflicht für Provider zu beobachten ist. Dabei wird versucht, Verweise auf eine geplante Maßnahme, für die es im EU-Parlament momentan keine Mehrheit gibt, in möglichst vielen anderen offiziellen Ratsdokumenten zu verankern. In Folge wird versucht, diese Maßnahme auch in anderen Richtlinien und Regulationen möglichst prominent zu verankern, mit dem Verweis, dass dazu ja längst diese oder jene Resolution des Rats verabschiedet worden ist.

Genau das passiert im Rat nunmehr seit Jahren zum Thema Vorratsdatenpeicherung. Wann immer die Nachrichtenkonjunktur dafür günstig ist - etwa nach einem Anschlag von Terroristen - wird das Thema wieder aufs Tapet gebracht und eine gesetzliche Regelung dafür gefordert. Zuletzt wurde der Anschlag in Wien dazu benutzt, die von den Hardlinern im Rat seit Jahren geforderte Verschlüsselung in einer Resolution des Rats zu verankern. Dass bei diesem Anschlag im Zentrum Wiens die Kommunikation des Täters via Internet nicht die geringste Rolle spielte, war im Rat völlig unerheblich, es wird ganz einfach nach der Methode „steter Tropfen höhlt den Stein“ gespielt.

Gilles de Kerchove

AFP PHOTO / FETHI BELAID

Seit Jahrern fordert der Anti-Terror-Koordinator Gilles de Kerchove eine neue Vorratsdatenspeicherung für temporären IP-Adressen. Begleitet wird das von apokalyptischen Warnungen, andernfalls würden die Polizeibehörden blind. Seit 2014 fordert de Kerchove eine Hinterlegung von Nachschlüsseln („Golden Keys“) bei den Behörden für die gängigen Verschlüsselungsprogramme.

Die Tragweite des aktuellen Urteils

2017 startete die erste Europol-Kampgne für eine Vorratsspeicherung temporärer IP-Adressen

Logischerweise mischt auch Anti-Terror-Koordinator Gilles de Kerchove bei dieser Ratskampagne wieder federführend mit. Wenn es weder gelinge, eine Lösung für das „Verschlüsselungsproblem“ zu finden, sowie eine neue Vorratsdatenspeicherung einzuführen, dann drohe das Internet zu einem Tummelplatz für Kriminelle zu verkommen. In Folge wurde in einer der Ratsarbeitsgruppen vorgeschlagen, die Datenschutzgrundverordnung dahingehend zu adaptieren, dass sie zu Überwachungsplänen besser kompatibel sei.

Mitten in diese „Jetzt erst recht“-Stimmung platzte das EuGH-Urteil, das nicht ganz unerwartet in einer Linie mit den drei vorhergehenden Urteilen zum Thema steht. Das oberste EU-Gericht kam im vorliegenden Fall minderschwerer Kriminalität nicht nur zum Schluss, dass die Heranziehung von Vorratsdaten dafür überschießend war. Wie schon aus dem Titel der offiziellen Aussendung hervorgeht, stellt dieses vierte EuGH-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung in Folge Eines unmissverständlich klar: Dass nämlich die Erfassung und Analyse von Metadaten - wer wann mit wem von wo aus kommuniziert - eine so invasive Maßnahme ist, dass sie nur in Fällen schwerer Kriminalität oder der Bedrohung der nationalen Sicherheit zulässig ist.

EuGH-Urteil bremst neue Vorratsdatenpläne aus

EU Ministerrat

Wie schon 2017 geht es in Richtung Vorratsspeicherung der temporären vergebenen IP-Adressen durch die Provider. Diese im Internet gültigen IP-Adressen werden rotierend an die Benutzer vergeben, bei der Einwahl werden in den Netzen der Telekoms nämlich erst einmal nur interne Adressen zugeteilt. Wie das im Detail funktioniert, ist dem ersten Link oberhalb, neben der Überschrift, zu entnehmen.

Was nun in Folge passiert

Vor 19 Jahren, nämlich im Mai 2002, hatte ORF.at zum ersten Mal über die EU-Pläne für eine Vorratsdatenspeicherung berichtet

Dieses EuGH-Urteil steht der gängigen Rechtspraxis in Europa frontal gegenüber. Die Analyse von Metadaten, etwa um daraus Kommunikations- bzw. Zeit-Weg-Profile zu erstellen, wird im Gros der Mitgliedstaaten routinemäßig auch gegen Handydiebstahl, Kleinhandel mit Drogen und vergleichbare minderschwere Delikte eingesetzt.

Am Mittwoch wurde erstens bekannt, dass Frankreich den Spruch des EuGH vom Oktober unter Berufung auf die „nationale Sicherheit“ vorläufig ignorieren will. Der EuGH war in dieser Angelegenheit von der französischen Bürgerrechtsorganisation „La Quadrature du Net“ angerufen worden. Zugleich gab der von den Uploadfiltern der Copyright-Richtlinie hinlänglich bekannte Abgeordnete Axel Voss (CDU/EVP) der Financial Times ein Interview. Der Inhalt in einem Satz: Es sei nun Zeit für Änderungen an der Datenschutzgrundverordnung, um sie an die neuesten technischen Errungenschaften wie der Entwicklung „Künstlicher Intelligenz“ anzupassen.

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