FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Durchgestrichene Symbole sozialer Netzwerke

Radio FM4

Erich Moechel

Refugien für Rechtsextreme im Netz schrumpfen

Von der rechtsextremen Plattform Parler wurden vor ihrer Löschung wegen nicht existenter Absicherung 60 Terabyte an Daten samt den Geodaten der Benutzer abgezogen. Die zweite solche Plattform „The Gab“ geht wegen Überlastung in die Knie.

Von Erich Moechel

Nach dem Aus für „Parler“, der bevorzugten Plattform von Rechtsextremen aller Schattierungen, ist mit „The Gab“ nur noch ein soziales Netzwerk übrig, in dem solche Benutzer explizit willkommen sind. Parler versucht zwar mit einer Klage gegen Amazon den Status Quo Ante wiederherzustellen, Beobachter räumen der Klage jedoch keine Chancen ein. Amazon hatte Parler wegen der grassierenden Gewaltaufrufe davor mehrfach erfolglos ermahnt, das abzustellen.

Bei „The Gab“ hatte man am Montag noch über 600.000 neue Benutzer gejubelt, seitdem ist die Plattform durch extreme Ladezeiten praktisch unbenutzbar. Der Sturm auf das Kapitol wurde auch längst nicht allein in diesen relativ kleinen Netzen organisiert, sondern offenbar über Facebook und Twitter. Erst am Dienstag gab Twitter die Sperre von 70.000 Konten der QAnon-Sekte bekannt und Facebook kündigte an, den Hashtag „Stop the Steal“ zu sperren. Auf YouTube wiederum fuhr eine neue „Patriot Streetfighter Warfare Platform“ schon am ersten Tag mehr als 60.000 Abonnenten ein.

Youtube-Screenshot: Zu sehen ist eine Axt mit dem Schriftzug Patriot Streetfighter

Youtube-Screenshot

Ganz gegen die üblichen Gepflogenheiten wird hier ein einziger Link auf einen solchen Inhalt gesetzt. Der Link dient vor allem dazu, um die Reichweite des Kanals zu beobachten und zu sehen, ob und wann Youtube auf diesen Aufruf zum bewaffneten Kampf reagiert.

Alle Inhalte von Parler kopiert

Ein Blick hinter die Kulissen von „The Gab“ vom vergangenen Sommer, als die Plattform erstmals bedeutende Zuwächse verzeichnen konnte.

Was von dieser Plattform herab gepredigt wird ist bereits auf den ersten Blick zu sehen, denn schon das erste Video lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Im dritten Cut zeigt sich der Organisator - ein Mann namens Scott McKay - in Heldenpose und schießt mit einem Sturmgewehr. Den Administratoren von Youtube muss dieser neue Channel auch bereits aufgefallen sein, denn dort wird weder Werbung eingespielt, noch gibts es die üblichen Links zu verwandten Inhalten. Dieser Bürgerkriegskanal verfügt auch über Backups auf allen bekannten kleineren Videoplattformen und eine Website, die allerdings anscheinend nicht zugänglich ist.

Die in der Cloud von Amazon gehostete Plattform Parler wiederum ist zwar seit Montag aus dem Netz verschwunden, aber die Postings und Videos sind allesamt noch da. Rund um den Sturm am 6. Jänner hatte eine Person, die unter dem Twitter-Handle @donk_enby auftritt bemerkt, dass Parler über sein Interface multiple Abfragen zulässt. Dann stellte sich heraus, dass der gesamte Authentifizierungsprozess für jeden Benutzer völlig ohne Überprüfung stattfindet, damit war es auch möglich, Administratorenrechte zu erlangen. Ein über eine bloße Testlizenz eingebundener Authentifizierungsanbieter namens Okta hatte seinen Service für Parler deaktiviert.

Screenshots von Social Media Nachrichten

Public Domain

Diese Heatmap zeigt die Orte, von denen Videos bei Parler hochgeladen wurden. Die laufende Dokumentation der Datenanalyse kann über das Konto @donk_enby auf Twitter verfolgt werden.

60 Terabyte samt Metadaten

Neben der tödlichen Pandemie und einem Putschversuch samt Bürgerkriegsdrohungen läuft auch noch ein generalstabsmäßig geplanter großer Cyberangriff auf die USA.

Zug um Zug konnten @donk_enby und Co so an die 60 Terabyte an Postings, Fotos und Videos samt den zugehörigen Geodaten herunterladen. All das wird gerade ausgewertet, die ersten detaillierten Mappings zeigen unter anderem, dass zahlreiche Videos von Einrichtungen der US-Streitkräfte bei Parler hochgeladen wurden, eines davon sogar direkt vom Rollfeld eines Flughafens der US-Airforce. Mehrere Dutzend Parler-Konten waren direkt vor Ort, während des Sturms auf das Kapitol aktiv. Es ist also davon auszugehen, dass viele der dort gedrehten Videos über Parler an die Öffentlichkeit gekommen sind.

Ebenso ist auch mit hoher Sicherheit davon auszugehen, dass die US-Behörden längst bei Amazon mit einem sogenannten „Subpoena“, einer gerichtlichen Verfügung zur Sicherstellung der Inhalte von Parler vorstellig geworden sind. Neben den Metadaten wird man dort auch die Klarnamen der Benutzer und ihre Wohnorte identifizieren können, um Unterwanderung vorzubeugen, hatte Parler nämlich bei jeder Neuanmeldung eine Kopie des Führerscheins verlangt. Die Möchtegern-Putschisten hatten also ihren Umsturzversuch, samt allen strafrechtlich relevanten Sachverhalten umfassend selbst dokumentiert und die Beweise für die Strafverfolger gesammelt hinterlassen. Die Annahme, dass es in den kommenden Wochen laufend neue Verhaftungen geben wird, liegt daher sehr nahe.

Screenshots von Social Media Nachrichten

Public Domain

Der CEO von Parler ist entsprechend verzweifelt, denn ihm muss klar sein, dass es mit einer Rückkehr der Services von Parler so schnell nichts werden wird. Dazu das letzte Beschwerdeschreiben von Amazon an die Geschäftsführung von Parler.

Twitter, Facebook, Google

Im Dezember hatten EU-Kommissarin Margrethe Vestager und Komissar Thierry Breton die bevorstehende Kraftprobe Europas mit den Internetkonzernen eingeläutet.

Unangenehme Zeiten kommen freilich nicht nur auf die am Sturm auf das Kapitol Beteiligten und auf deren Plattformbetreiber zu. Twitter wird sich die Frage stellen lassen müssen, warum das Management dem Treiben Donald Trumps und seiner Troll- und Bot-Armeen so lange tatenlos zugesehen hat. Und warum die mit sogenannter „Künstlicher Intelligenz“ versehenen Kontrollprogramme eine so große Botarmee nicht entdeckt hatten, die in jeder Hinsicht gegen die Nutzungsbestimmungen der Plattform verstoßen hatte, um die Reichweite bestimmter Postings zu multiplizieren.

Facebook hatte Trump und seine Fangruppen bis kurz vor Ende seiner Amtszeit überhaupt nach Belieben hetzen und krasse Falschmeldungen zum Wahlausgang verbreiten lassen. Erst lange nach Twitter hatte sich das Management in Menlo Park dazu entschlossen, derartige Postings wenigstens mit einem Hinweis auf das amtliche Endergebnis zu versehen. Google wiederum wird sich der Frage stellen müssen, wie es möglich ist, dass Putschisten wenige Tage nach einem missglückten Staatsstreich mit einem einzigen Youtube-Kanal schon wieder 100.000+ Nutzer mit öffentlichen Aufrufen zum Bürgerkrieg erreichen können. Auch wenn hier die automatische Verlinkung ähnlicher Inhalte gesperrt ist - die bei solchen Inhalten als Eskalationsspirale dient - muss angenommen werden, dass „Patriotische Straßenkämpfer“ längst nicht der einzige solche Channel auf Youtube ist.

Wie es (nicht) weitergeht

Parler dürfte nach dem Hinauswurf bei Amazon, wo offenbar alle Services der Firma liefen, im Netz nicht mehr so schnell zu sehen sein. Die Domain parler.com liegt jedenfalls bei einer kleinen Firma namens Epik, bei der auch gab.com registriert ist. Die wiederum ist resilienter aufgestellt, denn „The Gab“ verfügt über eigene Server, zudem ist man dort Widerstand gewohnt. Bereits seit Jahren ist „The Gab“ von VISA und anderen Zahlungsdienstleistern abgeschnitten. Das beschert natürlich eine hübsche Opferrolle, die der CEO Andrew Torba häufig und gerne spielt. In dieser fühlen sich Faschisten aller Schattierungen offenbar am wohlsten, sie dürften in sehr naher Zukunft auch noch reichlich kriegen.

Es gibt wieder einen RSS-Feed für diesen Blog. Sachdienliche Informationen, Metakritiken et al. sind über dieses Formular verschlüsselt und anonym beim Autor einzuwerfen. Wer eine Antwort will, gebe tunlichst eine Kontaktmöglichkeit an.

Aktuell: