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23.6.97Netznachrichten



Ass.Prof.Dr. Gabriele Schmölzer
Institut für Strafrecht, Strafprozeßrecht und Kriminologie
Karl-Franzens-Universität Graz
8010 Graz
Email:  SCHMOELZ@kfunigraz.ac.at
Tel. 0316-380-6681

Dr. Viktor Mayer-Schönberger
Institut für Römisches Recht und Antike Rechtsgeschichte
Universität Wien
1010 Wien
Email:  Viktor.Mayer-Schoenberger@univie.ac.at
Tel. (01)-5321050-303


Stellungnahme zum ”Entwurf eines Bundesgesetzes betreffend die Telekommunikation (Telekommunikationsgesetz - TKG)“

Die österreichische Bundesregierung bereitet die Neufassung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) vor. Dazu wurde erstmals im Sommer 1996 ein interner Entwurf bekannt, der nach Kritik völlig überarbeitet im Dezember 1996 zur Begutachtung der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Aufgrund der vielfachen Kritik - vgl. nur unsere Stellungnahme vom 12.2.97 - wurde auch dieser zweite Entwurf erneut überarbeitet. Der neueste, nunmehr dritte TKG-Entwurf wurde ohne voriges Begutachtungsverfahren dem Parlament zugeleitet und bereits dem Verkehrsausschuß zur Behandlung zugewiesen. Unsere Stellungnahme bezieht sich auf den Text dieser Gesetzesvorlage.

  1. Begriffsbestimmungen:

In unserer Stellungnahme zum Entwurf Dezember 1996 bemängelten wir das völlige Fehlen der Begriffsbestimmungen im Entwurf und kritisierten die stattdessen vorgesehene, unseres Erachtens verfassungsrechtlich bedenkliche dynamische Verweisung auf unspezifizierte EU-Richtlinien. Der nunmehrige Entwurf hat dieses Manko durch allgemeine und kapitelspezifische Begriffs-bestimmungen behoben.

  2. Verweis auf die ”TK-Datenschutz-Richtlinie“

Wie schon im Entwurf Dezember 1996 wird auch im nun vorliegenden TKG-Entwurf als Begründung für viele Regelungen auf eine ”TK-Datenschutz-Richtlinie“ der Europäischen Union verwiesen.
Bereits in unserer Stellungnahme vom 12.2.1997 haben wir diese Begründung kritisiert, weil die Europäische Union bis damals noch keine TK-Datenschutz-Richtlinie beschlossen hatte.
Vielmehr gab es nur einen in keiner Weise rechtsverbindlichen Gemeinsamen Standpunkt. Dieser Umstand hat sich bis dato nicht verändert. Noch immer verweist der Entwurf auf eine TK-Datenschutz-Richtlinie der EU, die es (noch immer) nicht gibt.
Damit aber bleiben unsere Bedenken vollinhaltlich aufrecht:
Überall dort im Entwurf, wo die TK-Datenschutz-Richtlinie als Argumentationshilfe für gewählte Formulierungen dient, geht sie - jedenfalls formalrechtlich - ins Leere.

  3. ”Fangschaltung“

Die nun in § 100 TKG geregelte ”Fangschaltung“ bietet einem Angerufenen, die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen die Rufnummer des Anrufenden gegen dessen Willen zu erhalten. Sie institutionalisiert damit den ”privaten Lauschangriff“ jedes Teilnehmers. Bereits in unserer Stellung-nahme vom 12.2.97 haben wir unsere verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber der damals vorgeschlagenen, und nun nahezu unverändert in die Gesetzesvorlage übernommenen Regelung dargelegt. Wir müssen diese Bedenken nicht nur vollinhaltlich aufrecht erhalten, sondern sogar verstärken.

In Österreich genießt das Fernmeldegeheimnis durch Art. 10a StGG grundrechtlichen Schutz. In das Fernmeldegeheminis kann ausschließlich aufgrund eines richterlichen Befehles eingegriffen werden. Das TKG sieht nun in § 88 eine Legaldefinition des bisher unklaren Begriffes des Fernmeldegeheimnisses vor. Danach sind insbesondere auch die sog. äußeren Gesprächsdaten iwS, also etwa angerufene Rufnummer etc. vom Fernmeldegeheimnis mitumfaßt.

Die Regelung des § 100 TKG sieht aber vor, daß genau diese grundrechtlich geheim zu haltenden Daten weitergegeben werden. Damit aber ist wohl die Verfassungswidrigkeit dieser Fangschaltungsregelung indiziert. Denn die Fangschaltung kann nach dem Entwurf einfach auf Wunsch des Betroffenen erfolgen - ohne richterliche Anordnung.

Wenig hilfreich in diesem Zusammenhang ist daher auch die Klarstellung in § 88 Abs 3, daß das Mithören und Aufzeichnen für den Bereich der Fangschaltung zulässig sei. Denn das vermag an der in § 88 Abs 1 festgeschriebenen Definition des Fernmeldegeheimnisses nichts zu ändern und erlaubt daher auch nicht den Richtervorbehalt in Art 10a StGG zu umgehen.

An diesem Umstand ändert auch die nun erfolgte Einfügung der Notwendigkeit der ”Glaubhaft-machung“ der belästigenden Anrufe durch den Angerufenen nichts. Denn man bleibt schuldig, das Verfahren der Glaubhaftmachung festzulegen. Damit in Zusammenhang steht auch die Frage, für welchen Zeitraum die Fangschaltung einzurichten ist, was alles dem Teilnehmer bekanntzugeben ist und wer über die Tatsache der Glaubhaftmachung entscheidet. Daß dies alles - wie die Anmerkungen ausführen - möglich sein soll, um die Basis für etwaige Schadenersatz-anprüche zu schaffen, kann prozessual nur als Erkundungsbeweis eingestuft werden, der einem rechtsstaatlichen Verfahren vorauseilt.

Auch kann aus dem Verweis auf die ”TK-Datenschutz-Richtlinie“ als Begründung für diese verunglückten Regelung nichts gewonnen werden. Denn zum einen gibt es keine ”TK-Datens-chutz-Richtlinie“, die bereits umzusetzen wäre. Zum anderen fordert der innerhalb der EU als Gemeinsamer Standpunkt diskutierte Entwurf etwas ganz anderes: Nicht alle Bürger sollen potentiell zu einer Art ”Lauschangriff“ greifen dürfen, sondern lediglich die nach der Liberalisierung privatwirtschaftlich tätigen Telefongesellschaften sollen verpflichtet werden, die technischen Voraussetzungen für eine Fangschaltung zu schaffen.

Ausdrücklich sieht der Gemeinsame Standpunkt der EU vor, daß diese Fangschaltung ”gemäß dem nationalen Recht“ abzuwickeln sei. Für die Durchlöcherung des grundrechtlichen Richter-vor-behaltes im Fernmeldegeheimnis gibt es damit auch europarechtlich keinen Grund.

  4. Einzelentgeltnachweis:

Auch in diesem Bereich konnten unsere Bedenken nicht grundlegend zerstreut werden.

Nach der geplanten Richtlinie der EU, auf die sich diese Gesetzesvorlage in den Bemerkungen immer wieder bezieht, haben Telefongesellschaften ihre Rechnungen grundsätzlich in Form eines Einzelentgeltnachweises, also unter Anführungen der einzelnen Gespräche, zu erbringen. Damit soll für den Teilnehmer die Vergebührung transparent und nachvollziehbar werden. Nur auf ausdrücklichen Wunsch des Teilnehmers kann von diesem Prinzip abgegangen werden. Der nun eingebrachte TKG-Entwurf sieht in § 95 genau das Gegenteil vor:
Ein Einzelentgeltnachweis muß nur auf Antrag des Teilnehmers und auch dann nur gegen zusätzlichen Kostenersatz zur Verfügung gestellt werden.
Mit anderen Worten:
Der Konsument muß - im klaren Gegensatz zur geplanten europäischen Lösung - auch in Zukunft in Österreich dafür zahlen, daß er seine Telefonrechnungen überprüfen darf.
Einzig positiv ist zu vermerken, daß nun die von uns in ihrer grundsätzlichen Formulierung ebenfalls kritisierte verkürzte Darstellung der Rufnummer im Einzelentgeltnachweis dann aufzuheben ist, wenn daraus die Verrechnung nicht mehr nachvollzogen werden kann. Freilich bleibt auch diese Anpassung weit hinter dem Desiderat der Transparenz zurück. Unklar ist, warum man einen Einzelentgeltnachweis ohne verkürzte Rufnummern, also eine wirklich überprüfbare Telefonrechnung gesetzlich nicht dann ermöglicht, wenn alle Benutzer eines Endgerätes dem zustimmen.

In Zweifel muß schließlich die immer wieder angeführte Begründung gezogen werden, daß ein Einzelentgeltnachweis mit unverkürzten Rufnummern gegen den Datenschutz verstoße. Unter den oben beschriebenen Bedingungen würde gerade die nicht vollständige Anführung der Rufnummern, obwohl diese vollständig gespeichert sind, gegen das Grundrecht auf Datenschutz (Auskunftsanspruch) verstoßen.

  5. ”Provider-Haftung“:

§ 16 des geltenden FG sieht eine sehr diffuse Haftungsbestimmung für den Anbieter von Telekommunikationsdiensten vor. Diese Regelung wurde in der Literatur wiederholt kritisiert, weil sie eine gleichzeitige - und damit undurchführbare - Verpflichtung zur Geheimhaltung und zur inhaltlichen Kontrolle vorsieht.

Im TKG-Entwurf vom Dezember 1996 wurde diese Regelung nahezu wortgleich aus dem FG übernommen. Wir haben dies in unserer Stellungnahme vom 12.2. vehement kritisiert und uns für eine (jedenfalls gedankliche) Entflechtung zwischen einem Diensteanbieter, der aufgrund seiner Geheimhaltungspflichten gar keine Möglichkeit zur inhaltlichen Kontrolle hat, und jenen Diensteanbietern, die selbst Inhalte anbieten und sich diese wohl auch zuzurechnen haben, eingesetzt.

Der nun vorliegende Entwurf versucht, diesem von uns angesprochenen ”Dilemma“ dadurch Herr zu werden, daß er die reinen Access-Provider in § 75 Abs. 2 mit Hilfe der Legalfiktion, sie seien keine Inhaber von Funkanlagen und Endgeräten, aus der Haftung nach dem TKG entläßt. So sehr diese Klarstellung - im Ergebnis war dies wohl auch schon bisher so - rechtspolitisch zu begrüßen ist, so wenig sind damit die anstehenden Fragen ausreichend gelöst. Denn die nun vorgesehene absolute Verpflichtungslosigkeit würde dazu führen, daß ein Access-Provider, der etwa durch glaubwürdige Informationen von strafrechtlich relevanten Inhalten erfahren hat, zu denen er den Zugang vermittelt, nach dem TKG nicht verpflichtet wäre, geeignete Maßnahmen zur Unter-bindung zu ergreifen, strafrechtlich aber sich damit keineswegs exkulpieren könnte. Hier fehlt dem TKG die notwendige saubere Klarstellung. Es steht zu befürchten, daß sich die schwammige Positionierung des FG fortsetzt.

Schließlich behandelt das TKG alle Diensteanbieter gleich und gewährt nur den reinen Access-Providern eine Sonderstellung.
Freilich wäre der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit wesentlich mehr gedient gewesen, wenn man auf die unterschiedliche Zumutbarkeit der Verantwortung von selbst hergestellten Inhalten und fremden, nur angebotenen Inhalten durch die Tele-kommuni-kations-Diensteanbieter unterschieden hätte.

Genau diesen klaren und transparenten Weg hat der deutsche Gesetzgeber im kürzlich verabschiedeten Informations- und Kommunikstions-Dienste-Gesetz (IuKDG) eingeschlagen. Er unterscheidet nach § 5 in der Verantwortlichkeit zwischen selbst hergestellten und fremden angebotenen Inhalten sowie reinen Access-Providern und weist in Abs. 4 ausdrücklich auf die verbleibende strafrechtliche Verantwortlichkeit aller Diensteanbieter (auch der reinen Access-Provider) hin.

Eine derartige - transparent gemachte - Abwägung in der Befreiung des Access-Providers von der Gefahr der Begehung einer Verwaltungsübertretung und die gerichtliche Strafwürdigkeit erst bei der gerichtlichen Strafbarkeit ansetzen zu lassen, ist legitim und praktikabel. Lediglich die Verwaltungsstrafbarkeit absolut auszuschließen, ohne auf die verbliebene umfassende strafrechtliche Haftung des Access-Providers hinzuweisen, heißt nicht ”Nägel mit Köpfen zu machen“.

  6. Schlußbemerkungen:

Auch für den neuen Entwurf gilt in Summe das bereits für den Entwurf Dezember 1996 gesagte:
In vielen Bereichen sind kleine, aber signifikante Schritte spürbar.
Trotzdem blieben die zentralen verfassungs- und europarechtlich bedenklichen Formulierungen erhalten, deren rasche Korrektur vor der endgültigen Verabschiedung wir dringend empfehlen, wenn das TKG trotz langer Entwurfphase nicht das Schicksal der ”Werkvertragsregelung“ teilen soll.


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