Explosion der Texte zurück ins Scryptorium




Über die Resurrektion der Gutenberg-Galaxis im Zeichen der Computervernetzung:
zu Hartmut Winklers DOCUVERSE, einem bemerkenswerten Lichtblick innerhalb der deutschen Medientheorie.
Eine Rezension von Frank Hartmann

Nach einem Stadium der Euphorie und der Visionen tritt der Diskurs um das Internet nun anscheinend in das Stadium der Enttäuschung, der Ernüchterung und der Entmythologisierung ein. Es gibt eine Soziologie des Internet, es gibt Netzkünstler, es gibt das Internet für Historiker, für Philosophen oder für Literaturwissenschaftler, es gibt eine Semiotik des Neztes und all die weiteren Spezialisierungen und Segmentierungen des Cyberspace. Das scheint die passende Zeit für ein Buch wie dieses: kalt, trocken und wohltuend distanziert den Hype ums Net vom Kopf auf die Füße stellend. Seine zentrale These ist: nicht ein Ende der Gutenberg-Galaxis wäre zu konstatieren (die ist schon seit gut hundert Jahren ein Auslaufmodell, wie bereits McLuhan kundgetan hat), sondern eine Rückkehr wenn nicht exklusiv zu Verbalsprache und Druck, so doch ”zu einem Symbolischen, das die Logik der Isolation akzeptiert.“
Seine Ausgangsfrage: Woher stammt eigentlich die Bereitschaft, in diese spröde und abweisende Computertechnologie so viele gesellschaftliche Wünsche und Hoffnungen zu projizieren, während wir doch längst wissen sollten, daß eben nicht alle an die Technik herangetragenen Wünsche dort auch entsprechend gut aufgehoben sind? Doch keine Angst, hier schreibt kein bornierter Kulturkritiker, kein dem literaturwissenschaftlichen Oberseminar entlaufener Feuilletonist, und auch kein müder alter Mann, der sich mit seinen letzten Kräften gegen den wieder einmal drohenden Kulturzerfall anstemmt.

Bei dem Projekt, das Buch zu schreiben, sind zwei Interessen zusammengekommen:
zum einen der Ärger über den riesigen Computer-als-Medium-Hype, der mit dem Internet ausgebrochen ist, und die modische, vorschnelle Art, in der die Debatte gegenwärtig geführt wird; und zweitens die Möglichkeit, meine Programmierer-Vergangenheit auf diese Weise zu recyclen.

(Winkler im Interview mit Lovink)

Der Autor gibt sich damit als Insider zu erkennen und setzt ganz bewußt ein Niveau. Als koketter Ausdruck akademischer Bescheidenheit wirkt seine Absichtserklärung, eine Reinterpretation vorhandener Positionen vorzuschlagen, eine Lektüre des medientheoretischen Metadiskurses. Er argumentiert gegen den Konsens, der angesichts des angeblich ´radikal Neuen´ Aggressionen gegen das Überkommene schürt, und plädiert für ein Leseverfahren, welches ”verblüffende Kontinuitäten“ zwischen ganz unterschiedlichen Medien zu erkennen gibt: das ist Kritik der fehlenden Kontextualisierungsleistung innerhalb der Medientheorie, die anscheinend allein von der Thematisierung der Brüche lebt.

Die fehlende Archäologie der Medienwelten ist nicht der einzige Angriffspunkt, den sich Winkler an den bestehenden Auffassungen ausgesucht hat. Sein Blickwechsel plädiert vor allem gegen die Anlage diverser Kommunikationstheorien, die in der Kommunikation selbst schon das schlechthin Gute sehen (weshalb sie bei Erklärungsnotstand auch ein ”Kommunikationsethik“ brauchen), und die den kommunikativen Transformationsprozessen immer einer Quasi-Natürlichkeit der Medienentwicklung unterstellen, die Medientheorie dann eigentlich zugunsten einer ”blinden Praxis“ überflüssig macht. Winklers Hauptfeind ist dabei die deutsche technizistische Medientheorie, allen voran ihre populistische Koryphäe, Norbert Bolz (bekannt aus der Fernsehbwerbung).

Bolz hat irgendwann kalt berechnet, daß die Republik einen Medienfuzzi braucht, der ihr in genügend gebildeten Worten sagt, was sie hören will, und es hat funktioniert.
(Winkler im Interview mit Lovink)

Winkler macht seinen Ärger fruchtbar, und bleibt nicht etwa im Affekt gegen den unkritischen Diskurs stecken. Mit pointierten Argumenten führt er vor, wie über Bolz und Kittler hinauszugehen wäre: durch eine semiotische Analyse des Symbolischen oder der kulturellen Bedeutungskonstruktionen, die durch die Rechner anders kontextualisiert, aber nicht aufgehoben werden.

In die Schranken gewiesen wird damit die moderne Utopie des Datenuniversums, die Phantasie, in der Sphäre des Symbolischen wieder zur Einheitlichkeit zurückzukehren. Je stärker die moderne Erfahrung an ”Verlust von Signifikanz und sozialer Integrationskraft“, desto stärker anscheinend das gesellschaftliche Bedürfnis, im Diskurs wieder Kohärenz und Konsens zu erzeugen. Deshalb die Unifizierungsphantasien der Moderne, die ­ wie diverse Ansätze zum Gesamtkunstwerk ­ vor totalitären Untertönen nicht gefeit sind.

Winkler knüpft mit dem Titel dieses Werkes an Ted Nelson an, einer jener mythischen Figuren im Netzdiskurs. Nelson hatte, als das Netz noch ein Niemandsland der Hacker war, das (nach angeblich drei Jahrzehnten Entwicklungsarbeit gescheiterte) Programm eines Universums taxonomischer Informationen verfolgt, eine Hypertext-Software, die den enzyklopädistischen Gedanken endgültig erfüllen sollte (”Xanadu Project“, WIRED 3.06, 1995). Die Hypertext-Bibliothek oder das ”Docuverse“ bedeutet das menschenferne Datenuniversum der maschinenlesbaren Dokumente und bleibt als Wunschphantasie zu entschlüsseln. Dieser Wunschphantasie entspricht auch der Computer als Medium: ein neuer, vereinheitlichender Code, eine universale Maschine, ein allgemein zugängliches Datenuniversum, die Utopie der planetaren Kooperation. Was dabei nicht zu einer neuen Sinnlichkeit im Wissensuniversum synthetisiert wird, sondern zunehmend auseinanderfällt, ist das Funktionsprinzip der Computer einerseits und unsere Wahrnehmungsgewohnheiten andererseits: die Algorithmen, die hinter den Bildwelten der graphischen Benutzeroberflächen stehen, werden immer unzugänglicher ­ und immer beherrschender die strukturierenden Vorgaben der Soft- und Hardwareindustrie. Diese ´Designvorgabe´ des Symbolischen scheint die unbegriffene kulturtechnische Geste zu sein, auf die uns Winkler aufmerksam machen will, da sie nachgerade die hegelsche Dialektik von Herr und Knecht neu formuliert:

Je ´mächtiger´ ein Softwarepaket ist, desto tiefer sind seine Menüs gestaffelt, desto endloser ist die Kette der Entscheidungen, die es seinem Nutzer abverlangt, und desto rigoroser setzt es sein Vokabular, seine Trennungen und seine Problemsicht durch; nach dem Muster eines impertinenten Knechtes, der den Herrn im Gestus unbeschädigter Devotion durch ständige Fragen zermürbt.
(Winkler)

Es ist eine Illusion unserer Zeit, daß sich unter dem Einsatz von Computern leichter, schneller und sauberer arbeiten läßt als zuvor. Sinn macht, die damit verbundenen ”Transparenzutopien“ (die klare Rede einer Idealsprache) kritisch zu distanzieren, wie sie in der distinktiven Grundlogik der graphischen Menüoberflächen immer wieder auftauchen. Winklers Kritik geht nun noch einen Schritt weiter.

Mit hundert Seiten den Hauptteil des Buches bildend, wird eine ”Theorie des Digitalen“ unter den Begriff der Isolation subsumiert. Als theoretische Annährung gefaßt, reflektiert dieses Kapitel wesentlich die Pragmatik einer semiotischen Strategie, die sich mit der digitalen Datenverarbeitung verbindet, indem sie ”Auswahl“ in die existentiellen ”Kontinuitäten“ projiziert. Und zwar als eine Verschärfung im Schritt von der Konkretion zur Auswahllogik ”universeller diskreter Maschinen“, von den Bildmedien zu den Computern, im Sinne einer Unterscheidung von kontinierlich (”Und“-Medien) und diskret (”Oder“-Medien), die Winkler plausibler erscheint als diejenige von analog und digital. Isolation bedeutet dann jene Basisvorstellung, die sich auch in der ”Datenverarbeitung“ manifestiert:
als Kulturtechnik, die ihre möglichen Gegenmodelle nicht nur unterdrückt und marginalisiert, sondern tendenziell sogar gänzlich ausschließt. Die Frage nach einer Kulturkritik des Computers, so scheint mir, mündet damit in diejenige nach der Bedingung der Möglichkeit einer ”Datenkritik“. Die phänomenologische Ebene mit all den Prophezeiungen eines postmodernen Zustandes des ”being wired“ und den vermeintlichen Segnungen des Zeitalters ist damit natürlich längst schon verlassen. Sie bildet laut Winkler ohnehin bloß eine weitere Strategie im Bereich der Wünsche aus, die nur als solche zu klären vermag, warum überhaupt gesellschaftliche Energie (die auch woanders zu gebrauchen wäre) in sie investiert wird.

Damit wird klar, daß in der immer entweder apokalyptischen oder integrierten Gegenüberstellung von Mensch und Maschine kein wesentliches Erkenntnispotenial steckt. Die Mediengeschichte ist als ein größeres Ganzes anzusehen, das über die einzelnen Entwicklungen hinausgeht. In der angeblich so kalten Technik erscheinen doch menschliche Wünsche aufgehoben, ohne daß jene auf ein Mittel zu diesen reduzierbar wäre. Winkler läßt konsequenterweise den Ausdruck ”Technik“ nicht einfach stehen, sondern plädiert anstelle des Singulars für den Plural, für eine Konkurrenz differenter Techniken. Ich halte das für eine Position, die im weiteren für alternative Kontextualisierungen plädiert und ziemlich genau anzugeben vermag, daß der technischen eine soziale Innovation entsprechen müßte ­ vor allem hinsichtlich der nach rein wirtschaftlichen und politischen Imperativen geplanten Implementierung der europäischen Informationsgesellschaft.

Die Theorie sollte sich hüten, die Lücke zu füllen und der Technik beizuspringen mit der Versicherung, jeder Gedanke an Eingriff sei ohnehin irrig, weil die Technikentwicklung (im Singular) nur beschleunigt oder gebremst, nicht aber gelenkt werden könne.
(Winkler)

Fazit:
DOCUVERSE ist ein (nach akademischen Kriterien) gediegenes Buch, das viel vom gängigen Internet-Hype ziemlich nüchtern relativiert und den Zampanos der deutschen Medientheorie endlich einmal Paroli bietet. Es ist ein Text, wie er aus dem deutschen Theoriebildungsdiskurs notwendig zu erwarten war und pünktlich eingetroffen ist, diese Erwartung aber nicht enttäuscht. Winkler, belesen und informiert, bringt keine Apotheose des Textes; er zeigt, daß man sich der Alternative von technizistischer oder humanistischer Medientheorie nicht unbedingt hingeben muß.
Dem Buch ­ es liefert weder Verbeugungen vor dem Zeitgeist, noch macht es den Mediendiskurs für eine bestimmte Schule ”anschlußfähig“ ­ wird aus genau diesen Gründen wahrscheinlich kein großer Erfolg beschieden sein, denn es ist zu intelligent, um sich diesen Erfolg durch billige Schlagworte zu erkaufen; es wird daher Norbert Bolz auch nicht mal ein müdes Lächeln entlocken.


Hartmut Winkler:
DOCUVERSE
Zur Medientheorie der Computer / Mit einem Interview von Geert Lovink;
Boer Verlag 1997


zurück ins Scryptorium