Der endgŸltige Inhalt zurück ins Scryptorium


Was ist eigentlich Cyber-Kunst, beziehungsweise "net.art"? Ändert sich der Charakter von Kunst durch die elektronischen Medien, und welchen Inhalt haben neue Kunstwerke am Netz? Gibt es ihn schon, den neuen Netzkünstler? Kann ein neues Medium eine neue Kunstbewegung begründen, oder was stimmt mit einer solchen Frage nicht?

Pit Schulz, Autor, Künstler und Computerfachmann, lebt in Berlin. Er hat zusammen mit Geert Lovink das Genre der Netzkritik begründet, wie sie mit der von ihm ebenfalls moderierten Mailingliste "nettime" praktiziert wird.

  TEIL I

"Alles ist falsch" - so stand es in großen Buchstaben auf dem Gemälde eines dänischen Künstlers, dessen Name mir entfallen ist, an der Manifesta Rotterdam "96. Was würde dieses Gemälde bedeuten, wenn es digitalisiert und als frei verfügbare Kopie aufs Netz gestellt würde? Wie kommunizieren die Segmente des Fortschritts und der Tradition des künstlerischen Systems innerhalb der neuen Medien?

Da gab es, traditionell, diese Frage nach dem Stofflichen, nach "Material und Gegenstand", nach der Qualität des Mediums, die der Künstler als Handwerker zu beherrschen und für die er ein "tiefes Verstehen" zu entwickeln hatte. Es ist das Bedürfnis nach Substanz und Objekthaftigkeit, welches der digitalen Medienkunst ihre bildhauerische Note gibt. In diesem Mangel ist sie plastische Kunst. Wenn "der Inhalt eines jeden Mediums immer ein anderes Medium ist" (McLuhan), vorzugsweise ein altes Medium, dann suche man sich besser einen Ausweg. Die Suche nach dem radikal neuen Medium reproduziert einen paradoxen Wunsch nach einer essentiellen Substanz, die sich hinter der nächsten Oberfläche verbirgt. Nennen wir es Identität, nennen wir es Präzenz, nennen wir es Bedeutsamkeit. Die formalen Regeln, die zu einem "goldenen Inhalt" führen, gehören erst noch definiert.

  Ausverkauf der Zukunft.

Eher innerhalb denn außerhalb der Medien können wir gewisse Bruchlinien entdecken. Die Speichermanie der Inhaltsbastionen in Erwartung des letztlichen Abkassierens führt zu einer profanen Ästhetik voll panischer Produktionen und konzeptueller Sackgassen. In einer real existierende Geschenks-Ökonomie wie des Webs ist nicht viel Geld zu machen, ohne etwas gratis zurückzugeben. Es ist sehr viel wahrscheinlicher, daß geschlossene Tauschzirkel untereinander handeln als daß ein üblicher Informationsaustausch läuft, in Schaltkreisen, die an der Wallstreet enden. Inzwischen versucht ein auto-erotischer digitaler Spiritismus mit "come together" als Teil seiner Rekonstruktion der messianischen christlichen Subjektivität, mit all den bekannten Nebeneffekten wie Priesterschaft und Frömmelei, den univeralen Körper ohne Organe zu schaffen. Der "digitale Kunsthandwerker" (Richard Barbrook) bereist und erkundet diese mystifizierten Zonen, um die virtuellen Kathedralen und Tempel des Netz-Kommerzes mit alchemistischen "Inhalten" zu füllen.

Im kulturellen Sektor der "virtuellen Arbeiterklasse" arbeitet man hart daran, neue Vorgaben einer Cyber-Subjektivität zu entwickeln, an die sich die erwarteten Cyber-Massen dann anschließen dürfen. Viele ekstatische Netz-Intellektuelle sind mit dem Glauben gesegnet, die Führungselite des kommenden Netzvolks zu sein. Sie aktualisieren das modernistische Modell des Übermenschen und seiner Krise der menschlichen Kraft, die als Crash-Dummy gegen die Zeitwand des ausgehenden Millenniums geschleudert wird. Ohne Arbeitsrecht und ohne soziale Absicherung hat der Netzpionier doch wenigstens den Stolz, an der Front zwischen Kommerzialisierung und Institutionalisierung zu kämpfen. Tatsächlich ist das Web immer noch ein Eldorado für Hobbyisten, D.I.Y. arriere-garde Künstler, abenteuerlustige Unternehmer und evangelistische Ideologen. Die heroische Info-Arena für die Massen jedoch, eine metaphysische Macht-Architektur der Inhalte schielt schon um die Ecke. Die Opfer dieser Entwicklung sind mehr als sichtbar, sobald wir nur unsere Terminals verlassen.

  Des Kaisers neue Medien

Nicht König Inhalt hatte unrecht, sondern eine spezifische Form der Wahrnehmung. Die Essenz von Inhalten ist der soziale Kontext (Kontakte, Kommunikationen, Konflikte). Ein sozialer Rahmen braucht weder ein eigentliches Medium noch legt er eine spezielle Substanz fest, die seine Netzwerke füllt. Es sind Aktivitätszonen und Aufmerksamkeitsschwellen, es sind Machtbeziehungen und magische Schlüsselwörter, die dem Inhalt gleichzusetzen sind. Aber zuvorderst ist es die soziale Architektur der Glaubensinhalte und Normen, Erinnerungsschichten, die eher ein Potential darstellen, ein umgebendes Kraftfeld. Ein instabiler Fluß, der Wiederholungen produziert, der selektiert und Grenzen und Normen durch Zeitlichkeit setzt. "Komm zum Inhalt und bleib zur Konversation" (e-minds). Wer sind die Produzenten? Wer macht den Profit? Wer ist verantwortlich? Die Aggregate einer kollektiven Subjektivität oder frei auftauchende Marktkräfte? Eine große soziale Skulptur oder eine anonyme, maschinenhafte Substanz/Essenz, den Cyberstrom irgendwie von "außen" informierend? Wer das glaubt, wird jemanden in dessen Namen finden.

  Aufhören, Inhalt zu produzieren

Die übliche Klage, daß der Kapitalismus falsch liege, fällt in einem klassischen Widerspruch zusammen, solange sie von innerhalb des Kapitalismus erhoben wird. Sogar wenn ich diesen Text hier nicht verkaufe, sogar wenn ich ihn gratis hergebe, so funktioniert das doch innerhalb einer spezifischen Ökonomie. Die inverse Ökonomie der Avantgarden addiert geheiligte Werte auf die imaginären Konten einer WeltKulturBank: Ruf, Glaubwürdigkeit, kulturelles Kapital. Heute wird es fast undenkbar, ob es ein Außerhalb des Marktes gibt, ob es etwas nicht Verdinglichtes und durch das letztendliche Medium des digitalen Geldes Übercodiertes gibt. Dem Kapitalismus zu widerstehen kann, wenn nicht zum schizoiden Initiationsritus, doch zum regressiven Spiel werden. Die Macht, der Macht zu entfliehen, die wiederum Macht im Zeichen von "keine Macht" erzeugt. Wir haben diese Träume der Unabhängigkeit hinter uns, die von der real existierenden Dichotomie einer Ökonomie des Kalten Krieges angetrieben wurden. Aber heute, nach dem Zerfall der Zwei-System-Theorie, lieben wir es auch, den Totalitarismus einer "Globalisierung" zu hassen, bis wir darin eine aktive Rolle übernehmen. Doch das Imaginäre kann nicht vollständig übertragen werden, es mag da einen schmalen taktischen Pfad geben, der zu einem Gebiet von "Inhalten" führt, die es nicht für Geld zu kaufen gibt, und das ganze Netz ist ja voll von solchem "Schrott".

Was also macht den Informationsbesitzer aus? Für den Emiriker gibt es keine Information ohne Zugang. Man stelle sich eine CD-ROM vor, eingegossen in einen Glasziegel - oder eine verschlüsselte PGP-Botschaft, und der Key ist verschwunden - oder eine Website die abgedreht ist - welche Information enthält so etwas? Ist es wirklich der menschliche Empfänger, der aus dem Signal eine Information macht, und der Haufen macht daraus dann Inhalt? Vielleicht erklärt uns Frank Hartmann irgendwann, was er unter "Datenkritik" versteht. Solange Ockhams/Soros" Messer schneidet, werden wir auch in der Lage sein zu falsifizieren, was als Störgeräusch oder als Ideologie daherkommt. Härter arbeiten. Es geht um den Kult der Effizienz und den verlorenen Respekt vor Effektifität (Morgan Garwood). Effizienz funktioniert innerhalb des Systems, Effektifität außerhalb. Effizienz mag ihr finales Ziel einer auto-logischen Komplexität haben, was aber sind die Nebeneffekte? Effizienz wird kein gültiges Kriterium für die Ästhetik von Netzwerken sein (David Garcia: Nichtwerke).

Ein Interface ist kein Bild. Es kann ein Stecker sein, das Klingeln des Telefons, einige Schaltknöpfe, oder die Parameter eines Programms. Es ist kein eins-zu-eins Simulakrum, doch eine eins-zu-eins-zu-noch-einem Übertragung zwischen verschiedenen Ebenen von Codes. Das Interface limitiert ein System als eine "Membrane" für Durchgangselemente. Es hat nichts mit einem Fernsehbildschirm zu tun. Es ist konstitutiv für die Definition des Systems und funktioniert nicht nur für Menschen, sondern auch zwischen und in maschinellen Aggregaten. Es muß nicht in Sichtbarkeit münden oder in einem neo-barocken Garten voll teurer Kunstinstallationen. Sichtbarkeit kann zur Ideologie der Aufklärung werden. Das Mysteriöse ans Licht zu bringen - hier sprechen wir über das Verborgene im Sinne der optischen Medien. Ich sehe, also verstehe ich. Das Netz hat keine Sichtbarkeit gebracht, sondern es produziert eine Menge von Erzählungen und es funktioniert als universale Projektionsfläche. Wie der Ozean in Stanislav Lems "Solaris" funktioniert es als "kathartisches Interface" (Perry Hoberman), eher als eine gigantische Gruppentherapie denn als athenäische Agora, doch grundsätzlich auf der vermittelten Subjektivität seiner Benutzer beruhend, was zu Fragen nach der sozialen Netzwerk-Architektur führt, zu kulturspezifischer Groupware, und zu einer Neudefinition urbanen Lebens.

Die Inter-Passivität des Anwender-orientierten Multimedia, verschmutzt mit dem "pink noise" unerwünschter Daten ist nicht die Tür zu einer Welt, die allen anderen verschlossen bleibt. Wenn man in das System voller Datenobjekte eintaucht, beginnt man sich in dieser Umwelt zu orientieren, ohne sich ein buntes Bild davon machen zu können (aber man kann jemanden fragen, der schon dort war). Die effektivsten Inhaltskanäle arbeiten mit dem reichen Code der menschlichen Sprache (Telefon, E-mail, Mailinglisten, Gerüchte). Und das ist es, was der kommerzielle Sektor nicht mag. Sei still und arbeite. Die Maschinen erledigen alles andere für Dich, sie erregen Dich.

(es folgt Teil 2)

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