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Politik, Medien und die intellektuellen Schöngeister: Ein Erfahrungsbericht über das Scheitern der medialen Berichterstattung im Jugoslawienkrieg und eine falsch verstandene Suche nach Authentizität. Boris Buden ist Autor eines Buches über den Zeitgeist in Ex-Jugoslawien: 'Barikaden', und Herausgeber des Magazins BASTARD, Zagreb/Wien.

Heute wird wahrscheinlich niemand mehr widersprechen, wenn wir sagen, daß der Zerfall Jugoslawiens nicht in das gesamte Bild der demokratischen Revolutionen im Osten Europas paßt. Das läßt sich schon an der Art und Weise zeigen, wie das westliche Publikum auf diese Ereignisse reagiert hat. Vom Fall der Berliner Mauer über die sogenannte "Samtrevolution" in Prag bis zum blutigen Aufstand des rumänischen Volkes - alle diese Ereignisse wurden in den westlichen Medien gefeiert und mit Begeisterung begrüßt. Anders der Zerfall Jugoslawiens und der darauf folgende Krieg. Hier war keine Sympathie zu spüren. Wie wichtig die Reaktion des sogenannten "äußeren zuschauenden Publikums" ist, hat uns bereits der Immanuel Kant am Beispiel der Französischen Revolution gezeigt: Die wahre geschichtsbildende Tat liegt nicht in den wirklichen Handlungen der Akteure, sondern in einer nachträglichen Interpretation, in einem Symbolisierungsprozess durch die Zuschauer. Entscheidend für die Wirkung der Ereignisse ist also die Art und Weise, wie sich die Revolution dem breiteren Publikum darstellt.

Im Fall Jugoslawiens ist es zu einem offenen Zwiespalt gekommen. Dort, wo die Akteure sich selbst als Kämpfer für universalistische Werte der Demokratie verstanden haben, hat das äußere, westeuropäische Publikum den Ausbruch eines partikularistischen Nationalismus gesehen. So wurde "Jugoslawien" ein Synonym für die Störung im harmonischen Bild der osteuropäischen Wiedererfindung der Demokratie. Es geht um die Störung in der Darstellung und das heißt, im Prozeß der Mediation. Es ist nämlich nicht nur die zeitgenössische Geschichtsschreibung an dieser Störung gescheitert. Gescheitert sind auch - die Medien. Ihnen ist es nicht gelungen, mit dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien adäquat umzugehen. Genau gesprochen ist damit eine ganz bestimmte Idee gescheitert, nämlich "die Vorstellung, daß nach dem Golfkrieg auch dieser Krieg einer für die Medien sein würde; daß die Wirklichkeit des Krieges aufgrund der Eigengesetzmäßigkeiten und der Notwendigkeit, Zuschauer bleibend zu interessieren, durch die Medien geschaffen werden könnte, indem sie den Krieg mit der Wirklichkeit der Zuschauer verbinden. Alle Menschen, die noch so etwas wie Informationsbedürfnis meinen haben zu müssen, zogen den einzig möglichen Schluß aus der totalen Niederlage der Medien: Sie gingen hin, um es mit eigenen Augen zu sehen." (Mit der Balkan-Platte in den Fukuyama-Graben, Agentur Bilwet: Der Daten-Dandy. Über Medien, New Age, Technokultur, Bollmann Verlag 1994: S.191) So sind die Friedensaktivisten, die Blauhelme, die Journalisten, die Waffenhändler, die Vermittler, die Medienhelfer hingegangen - aber auch die Intellektuellen - um die Wirklichkeit des jugoslawischen Zerfalls und des Krieges direkt zu erleben und es selbst wirklich zu sehen.

Mit dem ersten wichtigen von ihnen, dem französischen Philosophen und Schriftsteller Alain Finkielkraut hatte ich eine ähnliche Erfahrung gemacht, aber in umgekehrter Richtung. Für mich hat Finkielkraut als Intellektueller gut funktioniert, solange er eine reine Medienerscheinung geblieben ist. Das heißt also, solange er sich durch sein Schreiben in der Presse und vor allem durch seine Fernsehauftritte für die sogenannte Gerechtigkeit in dem damaligen Krieg in Kroatien eingesetzt hat, (er hat 1991 die kroatische Seite unterstützt) war er für mich ein glaubwürdiges und wirksames Beispiel des wahren, wirklichen Engagements eines Intellektuellen in der besten europäischen Tradition. Ich wurde aber vollkommen enttäuscht, als ich ihn mit eigenen Augen zu sehen bekam, oder besser gesagt, nachdem er medialen Raum verlassen hatte und nach Zagreb gekommen war, um endlich einen unmittelbaren Kontakt zu jener Wirklichkeit, die er in den Medien vertreten hat, zu schaffen. In einer improvisierten Vorbemerkung zu seiner Rede im Rektorat der Zagreber Universität erzählte Finkielkraut also, wie er in Kroatien einige Intellektuelle getroffen hat, darunter einen Maler und einen Dichter, und aus Gesprächen mit ihnen sei er zu dem Schluß gekommen, daß er hierbei die "europäische Seele" berühren durfte. Malerei und Dichtung, sagte er, sind hier ein Teil der Alltagskultur des Landes, sodaß Zagreb, neben Prag, einer der seltenen Orte sei, an dem diese europäische Seele in ihrer authentischen Form überlebt habe. In den Medien steht er also auf der Seite eines Kriegsopfer, in der Wirklichkeit aber steht er schon auf dem authentischen europäischen Parnaß. So verwandelt sich das, was in den Medien als die blutige Dornenkrone auf der Stirn eines Märtyrers erscheint, in der Wirklichkeit zum Lorbeerkränzchen auf dem Haupt eines Dichters.

Ein zweites Beispiel ist der Fall von Susan Sontag in Sarajevo. Die New Yorker Intellektuelle ist bekanntlich nach Sarajevo gegangen, um dort unter dem Belagerungszustand ein Theaterstück, nämlich Becketts "Warten auf Godot" zu inszenieren. Allein schon diese Tatsache fordert die Polemik heraus. Die schärfste Kritik dieser Form von Engagements stammt von Jean Baudrillard: "Kein Mitleid mit Sarajevo".
Das ist keine moralisierende Kritik. Was er Susan Sontag vor allem vorwirft ist, daß sie nach Sarajevo gekommen ist, um ihren eigenen und gleichzeitig den gesamtwestlichen Realitätsverlust aufzuheben. Was dem Westen am meisten fehlt, ist eben gerade Realität und diese Realität besorgt sich Susan Sontag dort, wo Blut fließt. Das Schlimmste was sie sich als Figur des Westens zuschulden kommen läßt, ist einerseits die herablassende Haltung und andererseits eine völlige Fehleinschätzung, was die Verteilung von Stärke und Schwäche betrifft. Baudrillard sagt: "Sie nämlich sind die Starken und wir sind die Schwachen, die wir dort in Bosnien ein Heilmittel gegen unsere Kraftlosigkeit und unseren Realitätsverlust suchen." Die Hilfskorridore, die der Westen nach Bosnien geschaffen hat sind so gleichzeitig Korridore des Elends, durch die der Westen neue Lebenskräfte aus der Energie ihres Leidens importiert. Sarajevo ist für Baudrillard eine hyperreale Hölle, die durch die ermüdenden medialen und humanitären Aktivitäten noch hyperrealer geworden ist: es herrscht dort eine radikale Desillusionierung des Realen, die den Menschen eine Art zweiten Mut verschafft - den Mut, das zu überleben, was keinen Sinn mehr hat. Susan Sontag theatralisiert und inszeniert diese Situation, damit sie im Theater der westlichen Werte, zu denen auch die Solidarität gehört, als Referenz dienen kann. Baudrillard gibt Susan Sontag nur eines zu - daß sie, durch ihren Akt (und durch das Medium Theater) dort fortsetzt, wo die Medien gescheitert sind: nämlich die Wirklichkeit des Krieges mit der Wirklichkeit des westlichen Lebens in Verbindung zu setzen, eine Referenz der einen in der anderen Wirklichkeit zu machen.

Das dritte Beispiel bezieht sich auf das Engagement von Peter Handke. Es geht um seine Reise nach Serbien, in die unmittelbare Nähe des bosnischen Krieges, und um das aus dieser Reiseerfahrung entstandene, überall umstrittene Buch "Gerechtigkeit für Serbien".
Dieser Text ist der Versuch, ein komplettes "Exit to Reality" zu inszenieren. In einem ersten Schritt grenzt sich Handke durch eine sehr einfache Kritik an der sogenannten Kriegsberichterstattung von jener massenmedialen Wirklichkeit ab, der wir täglich ausgesetzt sind: "Beinah alle Bilder und Berichte der letzten vier Jahre kamen ja von der einen Seite der Fronten oder Grenzen, und wenn sie zwischendurch auch einmal von der anderen kamen, erschienen sie mir, mit der Zeit mehr und mehr, als bloße Spiegelungen der üblichen, eingespielten Blickseiten - als Verspiegelungen in unseren Sehzellen selber, und jedenfalls nicht als Augenzeugenschaft. Es drängte mich hinter den Spiegel." Das nächste Objekt der Kritik sind freilich die Medien selbst.
"Denn was weiß man, wo eine Beteiligung beinah immer nur eine (Fern-) Sehbeteiligung ist? Was weiß man, wo man vor lauter Vernetzung und Online nur Wissensbesitz hat, ohne jenes tatsächliche Wissen, welches allein durch Lernen, Schauen und Lernen, entstehen kann? Was weiß der, der statt der Sache einzig deren Bild zu Gesicht bekommt, oder, wie in den Fernsehnachrichten, ein Kürzel von einem Bild, oder, wie in der Netzwelt, ein Kürzel von einem Kürzel?"
Zurück zur Sachen selbst also, so lautet das elitäre Program, und zwar durch Augenzeugenschaft, wie Handke sagt. Die Entwicklung der Medien ist hier einfach als das Entfernen von den Sachen verstanden, eine Retrobewegung: die Sache, deren Bild, ein Kürzel von einem Bild (Fernsehen), und am Ende, gleichsam am weitesten von der Sache, ein Kürzel von einem Kürzel dieses Bildes in der Welt des Internet. Diese Netzwelt ist dann zu einer Art Reliquiae Reliquiarum der ursprünglichen Sache (Realität) herabgesunken. Wenn sich schließlich dort, wo die Medien sind, die Wirklichkeit ändert, indem sie sich den Medien anpaßt, dann wird diese Wirklichkeit zur leeren Pose.

Was aber treibt den Schriftsteller hinter den Spiegel, was ruft bei ihm diesen Zweifel an Medien hervor? Ein Störfaktor! Handke: "Wo war der die Realitäten verschiebende, oder sie wie bloße Kulissen schiebende, Parasit: in den Nachrichten selber oder im Bewußtsein des Adressaten?" Und einige Seiten weiter antwortet er: "...der Parasit ist in meinem Auge." Und was findet Handke hinter dem Spiegel, jenseits der Medien - in der Wirklichkeit? Er beschreibt einen Markt in Serbien und kommt zu folgendem Schluß: "Was aber von solchem Marktleben . . . am eindrücklichsten haften blieb, das war eine Lebendigkeit, etwas Heiteres. Leichtes, wie Beschwingtes an dem . . . Vorgang von Kaufen und Verkaufen (...) Von dem Wust, Muff und der Zwanghaftigkeit der bloßen Geschäftsmachereien hob sich da etwas wie eine ursprüngliche und, ja, volkstümliche Handelslust ab." Der Dichter findet in der jugoslawischen War-Zone das Gleiche, was vor ihm auch schon Finkielkraut und Susan Sontag gefunden haben - das ursprünglich Authentische, das Lebendige. Kein Wunder also, daß so eine kostbare Quelle der authentischen Lebendigkeit geschätzt und aufbewahrt sein will. Handke: "Und ich erwischte mich dann sogar bei dem Wunsch, die Abgeschnittenheit des Landes - nein, nicht der Krieg - möge andauern; möge andauern die Unzugänglichkeit der westlichen oder sonstwelchen Waren- und Monopolwelt." Hier gilt eben noch eine unverdorbene, klare Alltagskultur. Im salbungsvollen Duktus wird das Reservat eines authentischen Leben gar beschworen, heilenden Einfluß auf den Rest der verdorbenen Welt auszuüben. " (...) vor dem Verlassen der Hauptstadt wurde es Zeit zum ersten Tanken in diesem, laut Volksmund, Land mit den meisten Tankstellen auf der Welt - in Gestalt der Kanister- und Flaschenanbieter dichtauf am Rand der Ausfallstraßen. Und auch bei all den Treibstoffkäufen danach hat sich mein erster Eindruck dort erhalten, daß die grünrotgrüne dicke Flüssigkeit, wie sie in der Tat ja auch war: etwas ziemlich Seltenes, eine Kostbarkeit, ein Bodenschatz - und wieder hatte ich gar nichts einzuwenden gegen meine Wunschvorstellung, solch eine Art Tanken möge lang noch so weitergehandhabt werden, und vielleicht sogar übergehen auf anderer Herren Länder."

Die intellektuelle Sehnsucht nach dem Aussermedialen ist ein Symptom des intellektuellen Unbehagens mit den Medien und mit der neuen postmodernen Welt, in welcher sie ihre alte Rolle für immer verloren haben, ohne einen entsprechenden (oder, warum auch nicht - beruhigenden) Ersatz für den Verlust zu bekommen. Es gibt aber strictu senso kein 'Exit to Reality'. Medien lassen sich weder verlassen, noch für irgendwelche außermedialen Zwecken benützen. Man kann mit Medien nur umgehen, und zwar auch so, daß man sie umgeht. Das Außermediale ist offensichtlich ein Effekt dieses Umgehens. Der intellektuelle Exit to Reality ist auch ein Ablenkungsmanöver. Man lenkt sich von den Medien ab, weil man weiß, daß sich die Medien ablenken lassen - von dem so wichtigen Nebensächlichen. Und eben dieses Nebensächliche - selbst natürlich ein Effekt der Medien - ist das, was die Intellektuellen von den Medien retten wollen, weil sie hoffen, darin eine wichtige verlorengegangene Erfahrung wieder zu gewinnen. Daß sie so viel Wert auf das Nebensächliche legen, kommt wahrscheinlich daher, daß sie selbst für die Medien eine Nebensache sind. Das intellektuelle Streben nach dem Außermedialen deutet keine Krise der Medien an. Was in eine Krise geraten ist, ist vielmehr jenes Konzept der Intellektuellen als Verkörperung einer sinngebenden Instanz, die aus einem bloßen Geschehen wieder eine geschichtsbildende Tat machen könnte.